Long, Andrew et al.: A typology of negative responses: a case study of shiatsu

Wellness-Behandlung

  
„Negative“ Antworten

Insgesamt gab es 218 „negative“ Antworten und damit eine Prävalenzrate von 12 bis 22 (pro 100) in allen drei Ländern. Überwiegend ging es dabei um körperliche Reaktionen und zu etwa einem Viertel um emotionale Befreiung. Am häufigsten genannt wurden:1Die Prozentzahlen beziehen sich auf die Gesamtzahl der „negativen“ Antworten.

  • Schmerzen in Nacken, Schulter, Rücken, Hüfte: 30 %
  • Müdigkeit, Erschöpfung, ohne Energie: 26 %
  • Kopfschmerzen: 18 %
  • Muskel- und Gelenksschmerzen, Krampfe: 11 %
  • Verstärkung oder Akzentuierung der Symptome: 10 %
  • Emotionale Reaktionen (angerührt, weinerlich, traurig, deprimiert): 10 %
  • Steifigkeit oder Spannung in Gelenken und Muskeln: 9 %
  • Weggetreten, schwindelig, fehlende Konzentration: 8 %
  • Emotionale Reaktionen (ängstlich, unruhig, panisch, nervös): 6 %
  • Emotionale Reaktionen (wütend, aggressiv): 6 %
  • Grippig, fiebrig, Kältegefühl, Hitzegefühl: 6 %

Die Raten waren 4 bis 6 Tage nach der Erstbehandlung am höchsten (18 bis 21%) und nach 6 Monaten (Follow-up) am niedrigsten (12 bis 17%). Die durchschnittliche Dauer der „negativen“ Reaktion variierte zwischen ein und zwei Tagen, der durchschnittliche Schwergrad war „moderat“24 bis 5 auf einer 7-Punkte-Skala, wobei 1 = „sehr gering“ und 7 = „sehr schwer“ war.

   
„Negative“ Antworten nach Typ

Insgesamt gab es 334 „negative“ Antworten, 142 in Österreich, 47 in Spanien und 145 in Großbritannien:

Antwort-TypÖsterreichSpanienGroßbritannienGesamt
Typ 16 %6 %2 %4 %
Typ 213 %17 %44 %27 %
Typ 366 %68 %39 %55 %
Typ 410 %6 %13 %11 %3Acht Antworten (vier in Österreich, je zwei in Spanien und Großbritannien) kamen erst in der nachträglichen Analyse (zu den schon zuvor erfassten Patient*innenangaben) dazu
Typ 55 % (n=7)2 % (n=1)1 % (n=2)3 % (n=10)49 Teilnehmer*innen (10 Antworten) berichteten über Reaktionen, die als Typ 5 eingestuft werden konnten, in der Analyse kamen noch 2 weitere Antworten (beide in Österreich) dazu.

Die meisten „negativen“ Antworten, insgesamt 82 Prozent, sind „vorübergehende Effekte“ (Typ 2 und Typ 3), wobei der Anteil der Typ 2-Antworten in Großbritannien (44 %) deutlich höher ist als in Österreich (13 %) und Spanien (17 %). Umgekehrt verhält es sich mit den Typ 3-Antworten: 39 % in Großbritannien, hingegen 66 % in Österreich und 68 % in Spanien.5Die Autor*innen führen dazu aus, dass die Klient*innen in Großbritannien häufig detailliertere Beschreibungen abgaben, die als Antwort eher den „Wechsel zu positiv“ (also Typ 2) beschrieben („the UK clients commonly gave more detailed descriptions that were more likely to depict the response as ‘changing to positive’“) – möglicherweise auch eine Folge der besseren Aufklärung der Teilnehmer*innen durch die Shiatsu-Praktiker*innen in Großbritannien.

In der vorliegenden Studie dominierten generell (sowie in Spanien und in Österreich) die Typ 3-Antworten, die alle mit der Shiatsu-Theorie konsistent waren, von den Klient*innen jedoch nicht explizit als „Wendung zum Positiven“ wahrgenommen wurden.

Typ 4-Antworten, 11 % aller „negativen“ Antworten, zeigen auf, dass die wahrgenommenen Effekte und Reaktionen beunruhigend waren und die täglichen Aktivitäten des*der Klient*in beeinflussten. In keinem Fall allerdings bedeuteten sie eine konkrete Gefahr dar. Beispiele dafür sind ein Gefühl des „Spaced out“ nach der Behandlung, Kopfschmerzen und Weinen am nächsten Tag, immer noch vorhandene Nackenverspannungen, depressive Befindlichkeit zwei Tage nach der Behandlung, zu starker Druck durch den*die Behandler*in6Der*die Kund*in wechselte daraufhin seine*ihre Behandler*in („My Shiatsu teacher was too intense, too much pressure, I changed to a female practitioner!!“). oder verstärkte Schmerzen im unteren Rücken für zwei Tage nach der Behandlung.7In diesem Fall behalf sich der*die Kund*in mit Yoga („Pain in lumbar region intensified—–length 2 days, thanks to Yoga, pain has gone away“).

Die erhobenen Beispiele zeigen auf, dass es dem*der Behandler*in in manchen Fällen durchaus möglich (und wünschenswert) wäre, der*dem Kund*in die Behandlung zu erleichtern, indem man ihm*ihr spezifische Informationen und Hilfen zur Verfügung stellt.8Ein*e Kund*in hat sogar explizit formuliert, dass sie sich mehr Unterstützung im Umgang mit den nachfolgenden Reaktionen gewünscht hätte: „Headache and weepiness the next day. I would have liked some advice (on) how to soften that aftereffect“. Manche Kund*innen griffen in dieser Situation zu Selbsthilfe und lösten ihr Problem mit Hilfe anderer Behandlungstechniken (z.B. Yoga) oder durch Behandler*innen-Wechsel.

Typ 5-Antworten, 3 % aller „negativen“ Antworten9Die zehn Typ 5-Antworten bezogen sich auf insgesamt acht Shiatsu-Praktiker*innen. Bei einem*einer Shiatsu-Praktiker*in wurden sogar zwei Typ 5-Antworten von zwei verschiedenen Klient*innen gemeldet, die sich beide auf Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule bezogen., berichteten über Effekte und Reaktionen, die sie in ihrem Alltag einschränkten und beunruhigen wie Schmerzen im Bereich von Rücken, Knie (nach Dehnungsübung) und Nacken, starke emotionale Reaktion oder auch Verbrennungen nach einer Moxa-Behandlung.10Moxa-Behandlungen sind nicht Teil des Shiatsu, können aber (eine entsprechende Ausbildung vorausgesetzt) ergänzend und unterstützende im Rahmen der Shiatsu-Behandlung angewendet werden. Im vorliegenden Fall dürfte die Anwendung nicht sachgemäß erfolgt sein.

  
Diskussion der Ergebnisse

In der Analyse „negativer“ Antworten zeigte sich, dass nur wenige davon „potenziell unerwünschte Ereignisse oder Auswirkungen“ sind. Die Mehrzahl (82 %) der von den Klient*innen rückgemeldeten „negativen“ Antworten wurden als theoriekonforme und letztlich „positive“ „Übergangseffekte“ klassifiziert.11Dieses Bild ist mit Forschungsergebnissen aus der Akupunktur vergleichbar, siehe MacPherson H, Thomas K, Walters S, Fitter M: The York acupuncture safety study: prospective survey of 34,000 treatments by traditional acupuncturists. Br Med J 2001;323:486—7 und White A, Hayhoe S, Hart A, Ernst E: Adverse events following acupuncture: prospective survey of 32,000 consultations with doctors and physiotherapists. Br Med J 2001;323: 485—6.

Ähnlich wie in der vorliegenden Arbeit unterscheiden Yamashita et al.12Yamashita H, Tsukayama H, Tanno Y, Nishijo K.: Adverse events in acupuncture and moxibustion treatment: a six-year survey at a national clinic in Japan. J Alternative Complement Med 1999;5:229—36. in ihrer Klassifizierung von unerwünschten Ereignissen in der Akupunktur- und Moxibustionsbehandlung zunächst einmal, ob diese durch „Fahrlässigkeit“ des*der Anwender*in hervorgerufen werden oder nicht (z.B. Nichtdurchführung oder falsche Durchführung eines erforderlichen Verfahrens). Bei den nicht-fahrlässig herbeigeführten Ereignissen, wird dann zwischen „eindeutig“ („definite“), „wahrscheinlich“ („probable“), „möglich“ („possible“) oder „zweifelhaft“ („doubtful“) unterschieden. Unterscheidungsmerkmale dazu sind die Zeit des Auftretens nach der Behandlung und ein erneutes Wiederauftreten bei einer weiteren Behandlung.

So tritt ein „eindeutig“ unerwünschtes Ereignis nach einer angemessenen Zeit auf und auch bei jeder weiteren Behandlung, ein „wahrscheinlich“ unerwünschtes Ereignis nach einer angemessenen Zeit und gelegentlich bei weiteren Behandlungen, ein „möglich“ unerwünschtes Ereignis tritt nach einer angemessenen Zeit und nicht wieder auf und ein „zweifelhaftes“ unerwünschtes Ereignis zu einem späteren Zeitpunkt und dann nicht mehr.

Wendet man diese Definition auf die Typ 5-Antworten an, dann erweisen sich die wiederholt auftretenden Rückenschmerzen („back pain, many times“) als definitiv unerwünschtes, aber nicht fahrlässiges Ereignis (und „unerwünschter Effekt“): Die Schmerzen traten in einem zeitlich angemessenen Zusammenhang auf und wiederholten sich bei erneuten Shiatsu-Behandlungen.

Im Gegensatz dazu würden Beschwerden, die nach der ersten Behandlung stärker wurden („complaints got stronger after the first treatment (spine)“), als „mögliches“ unerwünschtes Ereignis (aber nicht als „möglicher“ unerwünschter Effekt) eingestuft. Beschwerden, die auch bei der erneuten Anwendung stärker werden („complaints got stronger“), wären ein „wahrscheinlich“ unerwünschtes Ereignis (oder „wahrscheinlich“ unerwünschter Effekt).

Die endgültige Klassifizierung  würde aber mehr Informationen erfordern, vor allem hinsichtlich der Interaktion zwischen BehandlerIn und KlientIn und hier insbesondere über die energetische Einschätzung und die Präsentation der „Symptome“ durch die Shiatsu-PraktikerIn. Das wäre insbesondere hilfreich und notwendig für die Unterscheidung von „negativen“ Antworten von Typ 2 und 3 wie auch von Typ 4 und 5.

Gleichwohl wäre es auch (für zukünftige Untersuchungen) wichtig herauszufinden, ob Kund*innen, die erstmalig eine Shiatsu-Sitzung erhalten haben, „negative“ Reaktionen anders bewerten als Klient*innen, die Shiatsu häufiger erfahren haben, weil letztere eine negative Reaktion eher akzeptieren können bzw. sie als Arbeitsweise des Shiatsu wahrnehmen.13Die Autor*innen betonen diesen Umstand auch für die Schulmedizin, was nachvollziehbar ist, allein wenn man an eine zahnärztliche Behandlung und deren unterschiedliche Bewertungen denkt.

Wichtig für Methoden wie Shiatsu ist das grundlegende Verständnis, dass es sich bei „negativen“ Reaktionen, insbesondere vom Typ 2 und 3, nicht um „unerwünschte Nebenwirkungen“ handelt, sondern um einen Teil der Funktionsweise dieser Methode.

Zusammenfassend greifen die Autor*innen nochmals auf, dass manche Klient*innen auftretende „Übergangseffekte“ als negativ empfinden, darauf hindeutet, dass Shiatsu-Praktiker*innen ihre Kund*innen mehr über diese Vorgänge (und ihre Hintergründe) informieren sollten (Stichwort: „Systemreaktionen“)14Es scheint wichtig, dass ein*e Kund*in erfährt (und später dann erlebt), dass sich eine anfänglich negativ erlebte Reaktion (z.B. ein Gefühl von Müdigkeit oder ein Symptom, das sich verschlimmert) bald löst und“positiv“ wird. Das Auftreten einer „negativen“ Reaktion vom Typ 4 beispielsweise könnte ein*e Kund*in beispielsweise davon abhalten, seine*ihre Behandlungen fortzusetzen. und eine sorgfältige Nachsorge und Nachbetreuung von Bedeutung ist.

Aus Sicht des CAM-Berufs, so die Autor*innen abschließend, ist es daher notwendig, die „richtige“ Anwendung von Behandlungstechniken zu gewährleisten, um zu wissen, wann Behandlungsmöglichkeiten für eine* Klient*in unter welchen Symptomen/Gründen kontraindiziert sind.

  
Conclusio

Die Anwendung der Typologie auf eine europaweite prospektive, pragmatische Studie von Shiatsu unterstützt das Argument, dass Shiatsu von Natur aus eine sichere Behandlungsform ist, zumindest wenn sie in den Händen eines*einer kompetenten (und im aktuellen Kontext erfahrenen und akkreditierten) Praktiker*in liegt.

Anmerkungen/Fußnoten

  • 1
    Die Prozentzahlen beziehen sich auf die Gesamtzahl der „negativen“ Antworten.
  • 2
    4 bis 5 auf einer 7-Punkte-Skala, wobei 1 = „sehr gering“ und 7 = „sehr schwer“ war.
  • 3
    Acht Antworten (vier in Österreich, je zwei in Spanien und Großbritannien) kamen erst in der nachträglichen Analyse (zu den schon zuvor erfassten Patient*innenangaben) dazu
  • 4
    9 Teilnehmer*innen (10 Antworten) berichteten über Reaktionen, die als Typ 5 eingestuft werden konnten, in der Analyse kamen noch 2 weitere Antworten (beide in Österreich) dazu.
  • 5
    Die Autor*innen führen dazu aus, dass die Klient*innen in Großbritannien häufig detailliertere Beschreibungen abgaben, die als Antwort eher den „Wechsel zu positiv“ (also Typ 2) beschrieben („the UK clients commonly gave more detailed descriptions that were more likely to depict the response as ‘changing to positive’“) – möglicherweise auch eine Folge der besseren Aufklärung der Teilnehmer*innen durch die Shiatsu-Praktiker*innen in Großbritannien.
  • 6
    Der*die Kund*in wechselte daraufhin seine*ihre Behandler*in („My Shiatsu teacher was too intense, too much pressure, I changed to a female practitioner!!“).
  • 7
    In diesem Fall behalf sich der*die Kund*in mit Yoga („Pain in lumbar region intensified—–length 2 days, thanks to Yoga, pain has gone away“).
  • 8
    Ein*e Kund*in hat sogar explizit formuliert, dass sie sich mehr Unterstützung im Umgang mit den nachfolgenden Reaktionen gewünscht hätte: „Headache and weepiness the next day. I would have liked some advice (on) how to soften that aftereffect“.
  • 9
    Die zehn Typ 5-Antworten bezogen sich auf insgesamt acht Shiatsu-Praktiker*innen. Bei einem*einer Shiatsu-Praktiker*in wurden sogar zwei Typ 5-Antworten von zwei verschiedenen Klient*innen gemeldet, die sich beide auf Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule bezogen.
  • 10
    Moxa-Behandlungen sind nicht Teil des Shiatsu, können aber (eine entsprechende Ausbildung vorausgesetzt) ergänzend und unterstützende im Rahmen der Shiatsu-Behandlung angewendet werden. Im vorliegenden Fall dürfte die Anwendung nicht sachgemäß erfolgt sein.
  • 11
    Dieses Bild ist mit Forschungsergebnissen aus der Akupunktur vergleichbar, siehe MacPherson H, Thomas K, Walters S, Fitter M: The York acupuncture safety study: prospective survey of 34,000 treatments by traditional acupuncturists. Br Med J 2001;323:486—7 und White A, Hayhoe S, Hart A, Ernst E: Adverse events following acupuncture: prospective survey of 32,000 consultations with doctors and physiotherapists. Br Med J 2001;323: 485—6.
  • 12
    Yamashita H, Tsukayama H, Tanno Y, Nishijo K.: Adverse events in acupuncture and moxibustion treatment: a six-year survey at a national clinic in Japan. J Alternative Complement Med 1999;5:229—36.
  • 13
    Die Autor*innen betonen diesen Umstand auch für die Schulmedizin, was nachvollziehbar ist, allein wenn man an eine zahnärztliche Behandlung und deren unterschiedliche Bewertungen denkt.
  • 14
    Es scheint wichtig, dass ein*e Kund*in erfährt (und später dann erlebt), dass sich eine anfänglich negativ erlebte Reaktion (z.B. ein Gefühl von Müdigkeit oder ein Symptom, das sich verschlimmert) bald löst und“positiv“ wird. Das Auftreten einer „negativen“ Reaktion vom Typ 4 beispielsweise könnte ein*e Kund*in beispielsweise davon abhalten, seine*ihre Behandlungen fortzusetzen.

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