Was Berührung bewirkt. Eine Metaanalyse

Berührung

Diskussion der Ergebnisse

Das Besondere an der vorliegenden Studie ist, dass hier nicht nur eine genauere Berechnung der Effektstärken möglich war, sondern auch eine Abschätzung von Einflussfaktoren auf die Wirksamkeit von Berührung, die in bisherigen Studien nicht hinlänglich abgeschätzt wurden bzw. werden konnten (z.B. der Einfluss von Alter, Geschlecht oder Interventionsdauer und -frequenz). Insgesamt, so das Ergebnis der Studie, wirken sich Berührungsinterventionen (mit einer mittleren Effektstärke) sowohl auf die körperliche als auch auf die psychische Gesundheit positiv aus. Am besten geeignet zeigen sich Berührungsinterventionen allerdings, um Schmerzen, Depressionen und Ängste bei Erwachsenen und Kindern zu reduzieren und die Gewichtszunahme bei Neugeborenen zu steigern. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit früheren Meta-Analysen zu diesem Thema und bestätigen deren Schlussfolgerungen sowie deren Robustheit gegenüber der Hinzufügung weiterer Datensätze. Und während sich frühere Meta-Analysen zu diesem Thema ausschließlich auf Massagebehandlungen bei Erwachsenen und Känguru-Pflege bei Neugeborenen beschränkten (und damit eine große Anzahl von Interventionen außer Acht ließen), konnte in der vorliegenden Studie festgestellt werden, dass nicht nur Massagen, sondern auch andere Formen wie sanfte Berührungen oder Streicheln ähnliche gesundheitliche Vorteile aufweisen.

Während es weniger entscheidend zu sein scheint, welche Berührungsintervention angewendet wird, scheint die Häufigkeit der Interventionen eine Rolle zu spielen. Mehr Sitzungen standen in einem positiven Zusammenhang mit der Verbesserung von Merkmalen wie Depression und Angst, aber auch mit der Verringerung von Schmerzen bei Erwachsenen. Im Gegensatz zur Anzahl der Sitzungen führte eine Verlängerung der Dauer der einzelnen Sitzungen allerdings nicht zu einer Verbesserung der gesundheitlichen Auswirkungen.1Wenige Studien-Interventionen dauerten weniger als 5 Minuten, weshalb, so die Autor*innen, dennoch unklar bleibt, ob auch sehr kurze Interventionen die gleiche Wirkung haben. Vielmehr fanden wir bei den Erwachsenen sogar einige Hinweise auf negative Zusammenhänge bei Cortisol und Blutdruck.2Das könnte, so die Vermutung der Autor*innen mit Verweis auf Bendas, J., Ree, A., Pabel, L., Sailer, U. & Croy, I.: Dynamics of affective habituation to touch differ on the group and individual level. Neuroscience 464, 44–52 (2021), auf Gewöhnungseffekte von Berührungen auf das sympathische Nervensystem und die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse zurückzuführen sein, die letztlich zu einer verminderten Wirkung bei längerer Exposition führen, oder auf eine geringere Bewertung der Annehmlichkeit affektiver Berührungen mit zunehmender Dauer. Bei Neugeborenen allerdings konnten die frühere Annahme, dass die Dauer der Berührungsintervention mit einer positiven Gewichtszunahme verbunden ist, nicht bestätigt werden.3 Die Autorinnen verweisen dabei auf Charpak, N., Montealegre‐Pomar, A. & Bohorquez, A. Systematic review and meta‐analysis suggest that the duration of Kangaroo mother care has a direct impact on neonatal growth. Acta Paediatr. 110, 45–59 (2021).

Durch den Mangel an Berührungen aufgrund sozialer Einschränkungen während der Pandemie wurden, um das Bedürfnis nach Berührung bei Personen mit kleinen Netzwerken (Personen in Heimen oder isolierte Personen) zu befriedigen, auch Berührungsinterventionen mit Ojekten/Robotern erforscht. Dabei zeigte sich, dass auch in diesem Setting die körperliche und psychisch/mentale Gesundheit verbessert wird4Auch wenn sich signifikanten Unterschiede in Bezug auf den Nutzen für die körperliche Gesundheit zwischen Mensch-Mensch- und Mensch-Objekt-Berührungen festgestellt wurden, halten die Autor*innen fest, dass die Variabilität der Effektgrößen bei Mensch-Objekt-Berührungen größer war., die psychische Gesundheit aber nicht so stark wie bei von Menschen ausgeübter Berührung. Psychische Gesundheit dürfte, den Studienergebnissen zufolge, vor allem durch den Haut-zu-Haut-Kontakt vermittelt werden, was auch mit früheren Erkenntnissen bei Neugeborenen übereinstimmt.5Die Autor*innnen verweisen in diesem Kontext auf Whitelaw, A., Heisterkamp, G., Sleath, K., Acolet, D. & Richards, M. Skin to skin contact for very low birthweight infants and their mothers. Arch. Dis. Child. 63, 1377–1381 (1988) und in Bezug auf synthetische Haut auf Yogeswaran, N. et al. New materials and advances in making electronic skin for interactive robots. Adv. Robot. 29, 1359–1373 (2015).

Berührung zeigt sich sowohl für gesunde als auch für kranke Menschen von Vorteil, wobei bei den Ergebnissen zur psychischen Gesundheit größere Effekte bei kranken Menschen nachgewiesen wurden. Ein möglicher Grund, so die Autor*innen, könnte dabei in der größeren Berührungsbereitschaft dieser Patient*innen liegen.6Einsamkeit beispielsweise geht häufig mit chronischen Krankheiten einher (die Autor*innen verweisen auf Rokach, A., Lechcier-Kimel, R. & Safarov, A. Loneliness of people with physical disabilities. Soc. Behav. Personal. Int. J. 34, 681–700 (2006), die mit depressiver Stimmung und Angstgefühlen verbunden sind (mit Verweis auf Palgi, Y. et al. The loneliness pandemic: loneliness and other concomitants of depression, anxiety and their comorbidity during the COVID-19 outbreak. J. Affect. Disord. 275, 109–111 (2020)). Durch Berührung kann dieser negativen Entwicklung entgegengewirkt werden (mit Verweis auf Heatley-Tejada, A., Dunbar, R. I. M. & Montero, M. Physical contact and loneliness: being touched reduces perceptions of loneliness. Adapt. Hum. Behav. Physiol. 6, 292–306 (2020) und Packheiser, J. et al. The association of embracing with daily mood and general life satisfaction: an ecological momentary assessment study. J. Nonverbal Behav. 46, 519–536 (2022)).

In Hinblick auf geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen sich den Autor*innen zufolge einige Hinweise darauf, dass es Unterschiede zwischen Frauen und Männern in Bezug auf den gesundheitlichen Nutzen von Berührung gibt, nämlich dass die Puffereffekte gegen physiologischen Stress durch Berührung bei Frauen stärker sind – dies in Einklang mit den Ergebnissen von Berretz et al.7Berretz, G. et al. Romantic partner embraces reduce cortisol release after acute stress induction in women but not in men. PLoS ONE 17, e0266887 (2022)., denen zufolge Umarmungen bei Frauen eine stärkere Pufferwirkung bewirken als bei Männern.

Bedauerlicherweise, so ergänzen die Autor*innen, ist die Forschung bei Erwachsenen frauenlastig und die der vorliegenden Arbeit zugrundeliegenden Studien schlüsselten die gesundheitlichen Vorteile nur selten nach Geschlecht auf. Das wäre auch in dem Kontext von Bedeutung, dass jüngste Forschung zeigt, dass die die sensorische Befriedigung durch das Geschlecht beeinflusst wird und dass dies auch mit der Vertrautheit der anderen Person in der „berührenden Dyade“ zusammenhängt.8Die Autor*innen verweisen in diesem Zusammenhang auf Schirmer, A. et al. Understanding sex differences in affective touch: sensory pleasantness, social comfort, and precursive experiences. Physiol. Behav. 250, 113797 (2022) und Gazzola, V. et al. Primary somatosensory cortex discriminates affective significance in social touch. Proc. Natl Acad. Sci. USA 109, E1657–E1666 (2012). Generell haben sich Kontextfaktoren wie Geschlecht oder die Beziehung der berührenden Dyade, Unterschiede im kulturellen Hintergrund oder innere Zustände wie Stress als sehr einflussreich auf die Wahrnehmung affektiver Berührungen erwiesen und sind daher für die Maximierung der Annehmlichkeit und letztlich des gesundheitlichen Nutzens von Berührungsinteraktionen relevant.9Die Autor*innen verweisen auf Sorokowska, A. et al. Affective interpersonal touch in close relationships: a cross-cultural perspective. Personal. Soc. Psychol. Bull. 47, 1705–1721 (2021), Ravaja, N., Harjunen, V., Ahmed, I., Jacucci, G. & Spapé, M. M. Feeling touched: emotional modulation of somatosensory potentials to interpersonal touch. Sci. Rep. 7, 40504 (2017) und Saarinen, A., Harjunen, V., Jasinskaja-Lahti, I., Jääskeläinen, I. P. & Ravaja, N. Social touch experience in different contexts: a review. Neurosci. Biobehav. Rev. 131, 360–372 (2021).

in Hinblick auf altersbedingte Auswirkungen deuten die Daten darauf hin, dass mit zunehmenden Alter ein höherer Nutzen von Berührungen für den systolischen Blutdruck zu verzeichnen ist, was möglicherweise auf einen mit zunehmendem Alter höheren basalen Blutdruck zurückzuführen ist, der eine stärkere Modulation ermöglicht.

Die Person zu kennen, die berührt, wirkt sich weder bei Erwachsen noch bei Kindern auf den Einfluss der Berührung auf die Gesundheit aus. Anders hingegen bei Neugeborenen, bei denen Berührungen durch die Eltern nachweislich vorteilhafter waren als Berührungen durch medizinisches Personal. Dieses Ergebnis stimmt mit früheren Studien überein, dass der frühe Haut-zu-Haut-Kontakt und der Kontakt mit dem mütterlichen Geruch für die Fähigkeit des Neugeborenen, sich an eine neue Umgebung anzupassen, von entscheidender Bedeutung sind – und damit elterliche Fürsorge in diesem Zeitraum nur schwer zu ersetzen ist.10Die Autor*innen verweisen auf Porter, R. The biological significance of skin-to-skin contact and maternal odours. Acta Paediatr. 93, 1560–1562 (2007).

Anmerkungen/Fußnoten

  • 1
    Wenige Studien-Interventionen dauerten weniger als 5 Minuten, weshalb, so die Autor*innen, dennoch unklar bleibt, ob auch sehr kurze Interventionen die gleiche Wirkung haben.
  • 2
    Das könnte, so die Vermutung der Autor*innen mit Verweis auf Bendas, J., Ree, A., Pabel, L., Sailer, U. & Croy, I.: Dynamics of affective habituation to touch differ on the group and individual level. Neuroscience 464, 44–52 (2021), auf Gewöhnungseffekte von Berührungen auf das sympathische Nervensystem und die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse zurückzuführen sein, die letztlich zu einer verminderten Wirkung bei längerer Exposition führen, oder auf eine geringere Bewertung der Annehmlichkeit affektiver Berührungen mit zunehmender Dauer.
  • 3
    Die Autorinnen verweisen dabei auf Charpak, N., Montealegre‐Pomar, A. & Bohorquez, A. Systematic review and meta‐analysis suggest that the duration of Kangaroo mother care has a direct impact on neonatal growth. Acta Paediatr. 110, 45–59 (2021).
  • 4
    Auch wenn sich signifikanten Unterschiede in Bezug auf den Nutzen für die körperliche Gesundheit zwischen Mensch-Mensch- und Mensch-Objekt-Berührungen festgestellt wurden, halten die Autor*innen fest, dass die Variabilität der Effektgrößen bei Mensch-Objekt-Berührungen größer war.
  • 5
    Die Autor*innnen verweisen in diesem Kontext auf Whitelaw, A., Heisterkamp, G., Sleath, K., Acolet, D. & Richards, M. Skin to skin contact for very low birthweight infants and their mothers. Arch. Dis. Child. 63, 1377–1381 (1988) und in Bezug auf synthetische Haut auf Yogeswaran, N. et al. New materials and advances in making electronic skin for interactive robots. Adv. Robot. 29, 1359–1373 (2015).
  • 6
    Einsamkeit beispielsweise geht häufig mit chronischen Krankheiten einher (die Autor*innen verweisen auf Rokach, A., Lechcier-Kimel, R. & Safarov, A. Loneliness of people with physical disabilities. Soc. Behav. Personal. Int. J. 34, 681–700 (2006), die mit depressiver Stimmung und Angstgefühlen verbunden sind (mit Verweis auf Palgi, Y. et al. The loneliness pandemic: loneliness and other concomitants of depression, anxiety and their comorbidity during the COVID-19 outbreak. J. Affect. Disord. 275, 109–111 (2020)). Durch Berührung kann dieser negativen Entwicklung entgegengewirkt werden (mit Verweis auf Heatley-Tejada, A., Dunbar, R. I. M. & Montero, M. Physical contact and loneliness: being touched reduces perceptions of loneliness. Adapt. Hum. Behav. Physiol. 6, 292–306 (2020) und Packheiser, J. et al. The association of embracing with daily mood and general life satisfaction: an ecological momentary assessment study. J. Nonverbal Behav. 46, 519–536 (2022)).
  • 7
    Berretz, G. et al. Romantic partner embraces reduce cortisol release after acute stress induction in women but not in men. PLoS ONE 17, e0266887 (2022).
  • 8
    Die Autor*innen verweisen in diesem Zusammenhang auf Schirmer, A. et al. Understanding sex differences in affective touch: sensory pleasantness, social comfort, and precursive experiences. Physiol. Behav. 250, 113797 (2022) und Gazzola, V. et al. Primary somatosensory cortex discriminates affective significance in social touch. Proc. Natl Acad. Sci. USA 109, E1657–E1666 (2012).
  • 9
    Die Autor*innen verweisen auf Sorokowska, A. et al. Affective interpersonal touch in close relationships: a cross-cultural perspective. Personal. Soc. Psychol. Bull. 47, 1705–1721 (2021), Ravaja, N., Harjunen, V., Ahmed, I., Jacucci, G. & Spapé, M. M. Feeling touched: emotional modulation of somatosensory potentials to interpersonal touch. Sci. Rep. 7, 40504 (2017) und Saarinen, A., Harjunen, V., Jasinskaja-Lahti, I., Jääskeläinen, I. P. & Ravaja, N. Social touch experience in different contexts: a review. Neurosci. Biobehav. Rev. 131, 360–372 (2021).
  • 10
    Die Autor*innen verweisen auf Porter, R. The biological significance of skin-to-skin contact and maternal odours. Acta Paediatr. 93, 1560–1562 (2007).

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