Hartvigsen, Jan et al.: What low back pain is and why we need to pay attention

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Krankheitsverlauf

Schmerzen im unteren Rückenbereich werden zunehmend als langanhaltender Zustand mit variablem Verlauf und nicht als Episoden unzusammenhängender Ereignisse verstanden.1Dunn KM, Hestbaek L, Cassidy JD: Low back pain across the life course. Best Pract Res Clin Rheum 2013; 27: 591-600. Etwa die Hälfte der Menschen, die mit Schmerzen im unteren Rückenbereich in die Primärversorgung kommen, hat einen Verlauf von anhaltenden oder schwankenden Schmerzen geringer Intensität. Einige erholen sich, andere haben anhaltend starke Schmerzen im unteren Rückenbereich.2Kongsted A, Kent P, Axen I, Downie AS, Dunn KM: What have we learned from ten years of trajectory research in low back pain? BMC Musculoskelet Dis 2016; 17: 220.

Eine systematische Übersicht3Da C Menezes Costa L, Maher CG, Hancock MJ, McAuley JH, Herbert RD, Costa LO: The prognosis of acute and persistent low-back pain: a meta-analysis. CMAJ 2012; 184: E613-24.]/mfn] (33 Kohorten; 11.166 Teilnehmer) zeigt starke Evidenz, dass sich die meisten Episoden von Rückenschmerzen innerhalb von sechs Wochen deutlich verbessern und das durchschnittliche Schmerzniveau nach 12 Monaten niedrig ist (6 Punkte auf einer 100-Punkte-Skala). Allerdings berichten zwei Drittel der Patient*innen immer noch über Schmerzen nach drei Monaten. Wiederauftritte von Schmerzen im unteren Rückenbereich sind üblich, aber eine systematische Review aus 2017 (sieben Studien; 1.780 Teilnehmer) zeigt, dass die Forschung keine zuverlässigen Schätzungen des Risikos eines Wiederauftretens von Schmerzen im unteren Rückenbereich liefert. Allerdings gibt es starke Belege dafür, dass etwa 33% der Menschen innerhalb eines Jahres nach der Genesung von einer früheren Episode ein Rezidiv haben.3Da Silva T, Mills K, Brown BT, Herbert RD, Maher CG, Hancock M:. Risk of recurrence of low back pain: a systematic review. J Orthop Sports Phys Ther 2017; 47: 305-13.

Risikofaktoren und Auslöser für Rückenschmerzen

Obwohl sich die Auswirkungen von Rückenschmerzen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen von denen in Ländern mit hohem Einkommen unterscheiden, scheint es kaum grundlegende Unterschiede in den Risikofaktoren zwischen den Regionen zu geben. Eine systematische Übersicht (2014: acht Kohorten; 5.165 Teilnehmer4Taylor JB, Goode AP, George SZ, Cook CE: Incidence and risk factors for first-time incident low back pain: a systematic review and meta-analysis. Spine J 2014; 14: 2299-319.) fand Belege dafür, dass Menschen, die frühere Episoden von Rückenschmerzen hatten, ein erhöhtes Risiko für eine neue Episode haben.

Ebenso sind Menschen mit anderen chronischen Erkrankungen, einschließlich Asthma, Kopfschmerzen und Diabetes, häufiger von Rückenschmerzen betroffen als Menschen mit guter Gesundheit.5Taylor JB, Goode AP, George SZ, Cook CE: Incidence and risk factors for first-time incident low back pain: a systematic review and meta-analysis. Spine J 2014; 14: 2299-319. Und auch Menschen mit schlechter psychischer Gesundheit sind ebenfalls einem erhöhten Risiko ausgesetzt, so zeigt eine britische Kohortenstudie (5.781 Teilnehmer6Power C, Frank J, Hertzman C, Schierhout G, Li L: Predictors of low back pain onset in a prospective British study. Am J Public Health 2001; 91: 1671-78.), dass Personen, die im Alter von 23 Jahren eine psychische Belastung hatten, ein erhöhtes Risiko aufwiesen, 10 Jahre später einen Bandscheibenvorfall mit Schmerzen im unteren Rückenbereich zu erleiden.

Das kanadische National Population Health Survey (2005) mit 9.909 Teilnehmern7Currie SR, Wang J: More data on major depression as an antecedent risk factor for first onset of chronic back pain. Psychol Med 2005; 35: 1275-82. zeigt, dass schmerzfreie Personen mit Depressionen innerhalb von zwei Jahren eher Schmerzen im unteren Rückenbereich entwickeln als Menschen ohne Depression. Mechanismen hinter der Koexistenz von Rückenschmerzen und anderen chronischen Krankheiten sind nicht bekannt, aber systematische Übersichten zeigen, dass Lebensstilfaktoren wie Rauchen, Fettleibigkeit und geringe körperliche Aktivität, die alle auf eine schlechtere allgemeine Gesundheit verweisen, auch mit dem Auftreten von Rückenschmerzen oder der Entwicklung von anhaltenden Rückenschmerzen verbunden sind.

Eine systematische Untersuchung (2013: sieben Zwillingsstudien; 35.547 Teilnehmer8Ferreira PH, Beckenkamp P, Maher CG, Hopper JL, Ferreira ML: Nature or nurture in low back pain? Results of a systematic review of studies based on twin samples. Eur J Pain 2013; 17: 957-71.) zeigt, dass der genetische Einfluss auf Schmerzen im unteren Rückenbereich zwischen 21% und 67% liegt, wobei die genetische Komponente bei chronischen und behindernden Schmerzen im unteren Rückenbereich höher war als bei unbedeutenden Schmerzen.9Eine genetische epidemiologische Analyse von 15.328 dänischen Zwillingen (44% eineiig und 56% zweieiig) aus 2009 deutet auf einen hohen genetischen Einfluss bei Wirbelsäulenerkrankungen hin (Hartvigsen J, Nielsen J, Kyvik KO, et al.: Heritability of spinal pain and consequences of spinal pain: a comprehensive genetic epidemiologic analysis using a population-based sample of 15,328 twins ages 20–71 years. Arthritis Rheum 2009; 61: 1343-51).

Eine australische Studie (2015) mit 999 Teilnehmern zeigt, dass ungünstige Körperhaltungen, schwere manuelle Arbeiten, Müdigkeit und/oder Ablenkung während körperlicher Tätigkeit mit einem erhöhten Risiko einer neuen Episode von Rückenschmerzen einhergehen.10Steffens D, Ferreira ML, Latimer J, et al.: What triggers an episode of acute low back pain? A case-crossover study. Arthritis Care Res 2015; 67: 403-10. Nachweisen lässt sich auch der Zusammenhang zwischen einer hohen Arbeitsbelastung und dem Auftreten von unteren Rückenschmerzen.11Heneweer H, Staes F, Aufdemkampe G, van Rijn M, Vanhees L: Physical activity and low back pain: a systematic review of recent literature. Eur Spine J 2011; 20: 826-45. Eine zufriedenstellende kausale Erklärung zwischen diesen Risikofaktoren und dem Auftreten von unteren Rückenschmerzen fehlt jedoch weiterhin.

Multifaktorielle Einflüsse

Seit geraumer Zeit wird das komplexere biopsychosoziale Modell als Rahmen für das Lendenwirbelsäulenschmerzen gegenüber einem rein biomedizinischen Ansatz bevorzugt. Biophysikalische, psychologische, soziale und genetische Faktoren sowie Co-Morbiditäten können zu den Schmerzen beitragen. Es gibt allerdings keine klaren Grenzen zwischen diesen Faktoren, die alle miteinander interagieren, und eine anhaltende Behinderung durch untere Rückenschmerzen ist nicht nur durch die Schmerzrezeptoren bedingt.12Obwohl es wesentlich weniger Daten aus Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen als aus Ländern mit hohem Einkommen gibt, deuten die verfügbaren Daten darauf hin, dass multifaktorielle Beiträge in allen Ländern wichtig zu sein scheinen.

Biophysikalische Faktoren

Obwohl die Rolle biophysikalischer Beeinträchtigungen bei der Entstehung von behindernden Kreuzschmerzen nicht vollständig verstanden wird, sind Beeinträchtigungen bei Menschen mit anhaltenden Kreuzschmerzen nachweisbar, beispielsweise Veränderungen in der Muskelgröße, in der Zusammensetzung oder in der Koordination. Diese Veränderungen können mehr als nur eine direkte Folge von Schmerzen sein und werden nur teilweise von psychologischen Faktoren beeinflusst.13Dubois JD, Abboud J, St-Pierre C, Piche M, Descarreaux M: Neuromuscular adaptations predict functional disability independently of clinical pain and psychological factors in patients with chronic non-specific low back pain. J Electromyogra Kinesiol 2014; 24: 550-57.

Anmerkungen/Fußnoten

  • 1
    Dunn KM, Hestbaek L, Cassidy JD: Low back pain across the life course. Best Pract Res Clin Rheum 2013; 27: 591-600.
  • 2
    Kongsted A, Kent P, Axen I, Downie AS, Dunn KM: What have we learned from ten years of trajectory research in low back pain? BMC Musculoskelet Dis 2016; 17: 220.
  • 3
    Da C Menezes Costa L, Maher CG, Hancock MJ, McAuley JH, Herbert RD, Costa LO: The prognosis of acute and persistent low-back pain: a meta-analysis. CMAJ 2012; 184: E613-24.]/mfn] (33 Kohorten; 11.166 Teilnehmer) zeigt starke Evidenz, dass sich die meisten Episoden von Rückenschmerzen innerhalb von sechs Wochen deutlich verbessern und das durchschnittliche Schmerzniveau nach 12 Monaten niedrig ist (6 Punkte auf einer 100-Punkte-Skala). Allerdings berichten zwei Drittel der Patient*innen immer noch über Schmerzen nach drei Monaten. Wiederauftritte von Schmerzen im unteren Rückenbereich sind üblich, aber eine systematische Review aus 2017 (sieben Studien; 1.780 Teilnehmer) zeigt, dass die Forschung keine zuverlässigen Schätzungen des Risikos eines Wiederauftretens von Schmerzen im unteren Rückenbereich liefert. Allerdings gibt es starke Belege dafür, dass etwa 33% der Menschen innerhalb eines Jahres nach der Genesung von einer früheren Episode ein Rezidiv haben.3Da Silva T, Mills K, Brown BT, Herbert RD, Maher CG, Hancock M:. Risk of recurrence of low back pain: a systematic review. J Orthop Sports Phys Ther 2017; 47: 305-13.
  • 4
    Taylor JB, Goode AP, George SZ, Cook CE: Incidence and risk factors for first-time incident low back pain: a systematic review and meta-analysis. Spine J 2014; 14: 2299-319.
  • 5
    Taylor JB, Goode AP, George SZ, Cook CE: Incidence and risk factors for first-time incident low back pain: a systematic review and meta-analysis. Spine J 2014; 14: 2299-319.
  • 6
    Power C, Frank J, Hertzman C, Schierhout G, Li L: Predictors of low back pain onset in a prospective British study. Am J Public Health 2001; 91: 1671-78.
  • 7
    Currie SR, Wang J: More data on major depression as an antecedent risk factor for first onset of chronic back pain. Psychol Med 2005; 35: 1275-82.
  • 8
    Ferreira PH, Beckenkamp P, Maher CG, Hopper JL, Ferreira ML: Nature or nurture in low back pain? Results of a systematic review of studies based on twin samples. Eur J Pain 2013; 17: 957-71.
  • 9
    Eine genetische epidemiologische Analyse von 15.328 dänischen Zwillingen (44% eineiig und 56% zweieiig) aus 2009 deutet auf einen hohen genetischen Einfluss bei Wirbelsäulenerkrankungen hin (Hartvigsen J, Nielsen J, Kyvik KO, et al.: Heritability of spinal pain and consequences of spinal pain: a comprehensive genetic epidemiologic analysis using a population-based sample of 15,328 twins ages 20–71 years. Arthritis Rheum 2009; 61: 1343-51).
  • 10
    Steffens D, Ferreira ML, Latimer J, et al.: What triggers an episode of acute low back pain? A case-crossover study. Arthritis Care Res 2015; 67: 403-10.
  • 11
    Heneweer H, Staes F, Aufdemkampe G, van Rijn M, Vanhees L: Physical activity and low back pain: a systematic review of recent literature. Eur Spine J 2011; 20: 826-45.
  • 12
    Obwohl es wesentlich weniger Daten aus Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen als aus Ländern mit hohem Einkommen gibt, deuten die verfügbaren Daten darauf hin, dass multifaktorielle Beiträge in allen Ländern wichtig zu sein scheinen.
  • 13
    Dubois JD, Abboud J, St-Pierre C, Piche M, Descarreaux M: Neuromuscular adaptations predict functional disability independently of clinical pain and psychological factors in patients with chronic non-specific low back pain. J Electromyogra Kinesiol 2014; 24: 550-57.

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