Shiatsu im Wandel: Von den Ursprüngen zu einem europäischen Verständnis

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Shiatsu ist in seiner Entwicklung untrennbar verbunden mit Tokujiro Namikoshi, der als sein Begründer gilt und dem es vor allem zu verdanken ist, dass Shiatsu in Japan als Gesundheitsberuf anerkannt wurde. In seinem Verständnis ist Shiatsu „the application of manual and digital pressure to the skin with the aim of preventing and curing illness by stimulating the body´s natural powers of recuperation, eliminating fatigue-producing elements, and promoting general good health”(Toru Namikoshi: „The Complete Book of Shiatsu Therapy”, 1974). Ähnlich definierte es Katsusuke Serizawa: “Shiatsu technique refers to the use of fingers and the palm of one´s hands to apply pressure to particular sections on the surface of the body for the purpose of correcting the imbalances of the body, and for maintaining and promoting health. It is also a method contributing to the healing of specific illnesses.”1Dr. Katsusuke Serizawa war 1955 als Vertreter für Akupunktur, Moxibustion und Anma beim Hearing des japanischen Gesundheitsministeriums und betrachtet Shiatsu als alte japanische Therapie in der Tradition von Anma. Er attestierte Shiatsu den Status einer traditionellen japanischen Manualbehandlung, die sich aus einer alten Wurzel des Anma entwickelte. Seine Definition von Shiatsu wurde 1957 („The Theory and Practice of Shiatsu”) vom japanischen Gesundheitsministerium veröffentlicht.

Die Bezeichnung Shiatsu2„Shi” bedeutet Finger, „oyayubi” Daumen und „atsu“ Druck, doch lässt sich Shiatsu sinngemäß sowohl als Finger- als auch als Daumendruck übersetzen. wurde von Tenkai Tamai Anfang des 20. Jahrhunderts geprägt3In „Shiatsu Ryoho“, veröffentlicht 1919, hat Tenkai Tamai westliches anatomisches Wissen mit der traditionellen japanischen Behandlung verbunden. und von Tokujiro Namikoshi aufgegriffen, der seiner Methode den Namen „Shiatsu Ryoho“ (Shiatsu Behandlung) gab. Die tiefsten Wurzeln des Shiatsu aber liegen, wie Vertreter des japanischen Shiatsu betonen4Nach Shiatsupractor´s Association of Canada (SPAC; www.shiatsupractor.org), die der in Japan anerkannten Shiatsu-Ausbildung Namikoshis folgt., im Teate (was so viel wie „manuell“ oder „hands-on“ bedeutet) und damit in der universellen instinktiv-menschlichen Erfahrung, dass Schmerzen gelindert werden können, wenn man die Hände auf den betroffenen Körperbereich legt. Die ersten japanischen Beschreibungen solcher Heilmethoden liegen etwa 2.000 Jahre zurück: In einem alten japanischen Gedicht heilt Sukunahikonakami, der „Vater der japanischen Medizin“ die Menschen mit seinen Händen.

Mit der Übernahme der traditionellen chinesischen Medizin in der zweiten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrtausends wurde diese zum Zentrum der japanischen Medizin und behielt diese Stellung bis zur Meji Restauration (1868). Neben Akupunktur, Moxibustion, Arzneimitteltherapie und Ernährung war Anma, die japanische Form der chinesischen Tuina-Massage, als manuelle Behandlungsmethode damit ein wichtiger Bestandteil der medizinischen Behandlung geworden.5Festgehalten ist dies im heute ältesten japanischen Medizinbuch, dem Ishinboh von Yasuyori Tanba (984).

Die Edo-Zeit (1603 – 1867) brachte große manuelle Therapeuten wie Ryouzan Goto oder Shinsai Ota hervor. Gegen Ende der Edo-Periode begründeten Genpaku Sugita und Ryoutako Maeno mit ihrer Übersetzung eines niederländischen Textes über Anatomie, dem Kaitaishinsho, die Entfaltung der westlichen Medizin der Meiji-Periode (1868 – 1912), die zur Einführung manueller westlicher Behandlungen führte. Zusammen mit Methoden wie Anma oder Do-In, die der chinesischen Tradition entstammen, gab es damit dann mehr als 300 verschiedene Behandlungsformen.


Der Ursprung des Shiatsu

Der Begründer des heute in Japan einzig offiziell anerkannten Shiatsu, Tokujiro Namikoshi, wurde 1905 geboren. 1912 wird von den Vertretern des Namikoshi-Shiatsu als Geburtsjahr des Shiatsu betrachtet, weil Tokujiro Namikoshi in diesem Jahr – völlig ohne Wissen über manuelle und andere medizinische Behandlungen und ohne Ausbildung – seine Mutter, die an Rheuma erkrankt war, durch Massagen heilte.

In den Folgejahren lernte und studierte Tokujiro Namikoshi westliche Anatomie, Physiologie und Behandlungsmethoden wie auch die von Tenpuku Tamai gelehrte Form der manuellen Behandlung, die traditionelle japanische Behandlungstechniken und westliches anatomisches Wissen miteinander verband.6Nach Wataru Ohashi: „Die japanische Fingerdrucktherapie“, 1992 (englisch: „Do-It-Yourself-Shiatsu“, 1976.) 1925 eröffnete er in Muroran (Hakkaido) die erste Shiatsu Treatment Clinic und veröffentlichte 1934 „Shiatsu Therapy and Physiology“. 1940 eröffnete er das „Japan Shiatsu College“.

Zu dieser Zeit gab es noch keine nationalen gesetzlichen Regelungen für Behandlungsmethoden wie Shiatsu, und erst 1947 trat der „Anma, Acupuncture, Moxibustion, Jyudo-Aliment Business Act“ in Kraft. 1955 wurde das Gesetz derart abgeändert, dass es statt „Anma“ nunmehr „Anma (including Massage and Shiatsu)“ hieß. Zwei Jahre danach, 1957, wurde die Shiatsu-Definition von Katsusuke Serizawa vom japanischen Gesundheitsministerium veröffentlicht und das „Japan Shiatsu College“ eine vom Gesundheitsministerium anerkannte Schule.

1957 ging Tokujiro Namikoshi auf Einladung der Palmer Chiropractic School in die USA. Toru Namikoshi, der Sohn von Tokujiro, blieb dort schließlich sieben Jahre lang, um Shiatsu und Chiropraktik miteinander zu vergleichen und nach seiner Rückkehr zur Entwicklung der Shiatsutheorie, basierend auf moderner westlicher Anatomie und Physiologie, beizutragen.

Heute sind Akupunktur, Moxibustion, Anma, (westliche) Massage und Shiatsu als Therapien vom japanischen Gesundheitsministerium geregelt, wobei Shiatsu – aus der Sicht der Namikoshi-Tradition allerdings fälschlicherweise – der traditionellen chinesischen/japanischen Medizin zugerechnet wird. Die offiziell anerkannte Shiatsu-Ausbildung umfasst nahezu 2.500 Ausbildungsstunden, und angehende Shiatsu-Therapeut*innen, die eine Registrierung anstreben, müssen auch (ebenso wie diejenigen, die westliche Massage erlernen) ihr Wissen über das Meridiansystem unter Beweis stellen, um – wie es offiziell heißt – „Anma, Massage und Shiatsu-Therapeut“ zu werden. Entgegen dieser Praxis aber betont die Namikoshi-Tradition die Anerkennung durch das Gesundheitsministerium (1964) von Shiatsu als eigenständige Methode, die sich von Anma und damit zugleich von der traditionellen chinesischen/japanischen Medizin abgrenzt.

Anmerkungen/Fußnoten

  • 1
    Dr. Katsusuke Serizawa war 1955 als Vertreter für Akupunktur, Moxibustion und Anma beim Hearing des japanischen Gesundheitsministeriums und betrachtet Shiatsu als alte japanische Therapie in der Tradition von Anma. Er attestierte Shiatsu den Status einer traditionellen japanischen Manualbehandlung, die sich aus einer alten Wurzel des Anma entwickelte. Seine Definition von Shiatsu wurde 1957 („The Theory and Practice of Shiatsu”) vom japanischen Gesundheitsministerium veröffentlicht.
  • 2
    „Shi” bedeutet Finger, „oyayubi” Daumen und „atsu“ Druck, doch lässt sich Shiatsu sinngemäß sowohl als Finger- als auch als Daumendruck übersetzen.
  • 3
    In „Shiatsu Ryoho“, veröffentlicht 1919, hat Tenkai Tamai westliches anatomisches Wissen mit der traditionellen japanischen Behandlung verbunden.
  • 4
    Nach Shiatsupractor´s Association of Canada (SPAC; www.shiatsupractor.org), die der in Japan anerkannten Shiatsu-Ausbildung Namikoshis folgt.
  • 5
    Festgehalten ist dies im heute ältesten japanischen Medizinbuch, dem Ishinboh von Yasuyori Tanba (984).
  • 6
    Nach Wataru Ohashi: „Die japanische Fingerdrucktherapie“, 1992 (englisch: „Do-It-Yourself-Shiatsu“, 1976.

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