Historischer Abriss über die Traditionelle Fernöstliche Medizin und Shiatsu

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Die chinesischen Wurzeln

Die Anfänge der chinesischen Medizin liegen schon in der Altsteinzeit. Archäologische Funde deuten darauf hin, dass es bereits vor etwa 10 000 Jahren Behandlungsformen gab, die als Vorläufer der Akupunktur betrachtet werden können. Für die Ältere Steinzeit fand man Steinnadeln, für die Jüngere Steinzeit Nadeln aus Knochenmaterial, Bambus und später aus verschiedenen Metallen wie Gold, Silber und Eisen als Zeugen der frühen Akupunkturbehandlung.

Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), so wie sie heute als Gesamtheit zahlreicher diagnostischer, therapeutischer und philosophischer Konzepte verstanden wird, begann dann frühestens in der Xia-Dynastie (2205 – 1766 v. Chr.), spätestens aber in der Shang-Dynastie (1766 – 1122 v. Chr.). Basis des traditionellen Medizinverständnisses war – und ist bis heute – die Vorstellung vom Eingebundensein des Menschen in seine natürliche Umgebung sowie die Verbindung von Naturbeobachtungen mit kosmologischen und geomantischen Vorstellungen.

Wenn auch der Beginn der chinesischen Medizingeschichte noch wesentlich durch schamanistische Vorstellungen und Praktiken bestimmt war, so wurden in der Folge zunehmend empirische, medizinisch-biologische Erfahrungen und Ansätze integriert: Pulsbefundung, Zungendiagnostik, die Lehren von Yin und Yang, von den Fünf Elementen, von den Körpersubstanzen und den Organen wurden in die bestehenden daoistischen und konfuzianischen Medizinmodelle aufgenommen.

Philosophisch-religiöse Wurzeln

Daoismus und Konfuzianismus, deren Entstehung zwischen dem 8. und 5. Jahrhundert vor Christi Geburt angesetzt wird, bilden zusammen mit dem Buddhismus, der zur Zeit der Han-Dynastie (206 v. Chr. – 221. n. Chr.) von Indien nach China gekommen war, die „Drei Lehren”, jene drei philosophisch-religiösen Systeme, deren Einfluss sich in der gesamten chinesischen Kultur- und Staatsgeschichte findet.

Charakteristisch für den auf Kong Zi zurückgehenden Konfuzianismus ist eine rein rational geprägte Staats- und Sittenlehre, wohingegen der Daoismus, als dessen Begründer Lao Zi gilt, gesellschaftliche Institutionen weitestgehend ablehnt. Der Daoismus, der damit geradezu im Gegensatz zur konfuzianischen Lehre steht, betont, dass der Mensch als Teil des Kosmos seinem Wesen nach vollkommen ist und nach Möglichkeit nicht in den Lauf der Natur eingreifen sollte. Der Daoismus fordert ein enges Verhältnis mit der Natur, die Orientierung an der direkten Beobachtung und die intuitive Verbindung der beobachteten Phänomene zur Herstellung kosmologischer und symbolischer Zusammenhänge.

Die ersten schriftlichen Aufzeichnungen zur chinesischen Heilkunst stammen aus dem 14. bis 13. Jahrhundert vor Christi Geburt, enthalten aber noch keine medizinischen Zusammenhänge und Einsichten. Auf bei Ausgrabungen zutage geförderten Orakelknochen finden sich Schriftzeichen für verschiedene Erkrankungen, ebenso wie sich in dem – im wesentlichen Teilen zumindest – zwischen dem 10. und 6. Jahrhundert vor Christi entstandenem „Buch der Lieder” nur Namen von Krankheiten und Pflanzen finden, die auch später für medizinische Zwecke verwendet wurden.

Medizinische Klassiker

Die für die gesamte Medizintradition des Ostens grundlegende Lehre von Yin und Yang wurde erstmals etwa 700 v. Chr. im „Buch der Wandlungen” (Yi Jing) beschrieben, und das älteste medizinische Fachwerk, das „Buch des Gelben Kaisers zur Inneren Medizin” (Huang Di Nei Jing), entstand wahrscheinlich zwischen 475 und 221 v. Chr. (Zeit der Streitenden Reiche). Im Zwiegespräch zwischen dem legendären Gelben Kaiser (Huang Di) und dem (göttlichen) Arzt Qi Bo werden hier erstmals die wesentlichen und basalen Vorstellungen der Traditionellen Chinesischen Medizin dargelegt, die auch heute noch in der traditionellen fernöstlichen Medizin Gültigkeit haben.

In den folgenden Jahrhunderten wurde das bisher vorhandene Wissen systematisiert und ergänzt. So kommentiert und ergänzt der „Klassiker der Schwierigkeiten”, der Bian Que (etwa 500 vor Christi) zugeschrieben wird, schwer verständliche Passagen des Huang Di Nei Jing. Hua Tuo (141 – 212) setzte erstmals Akupunktur und Kräuter zur Anästhesie bei chirurgischen Eingriffen ein, und Zhang Zhong Jing (150 – 219) gilt mit seinem noch heute gültigen Buch „Über kälteinduzierte Krankheiten” (Shang Han Lun) als Begründer der Differentialdiagnostik in der TCM.

Aus dem 3. Jahrhundert stammen die „Vorschriften zur Soforthilfe in Notfällen”, ein grundlegendes Werk über Moxibustion und Notfallsmedizin, und das „Buch der Pulse”, das die Möglichkeiten der Pulsdiagnostik ausführlich beschreibt. Als „Vater des Pulses” jedoch gilt Bin Hu, der im 5. Jahrhundert vor Christi Geburt lebte und schon damals Diagnosen mit Hilfe der Pulsdiagnostik erstellte.

Das erste sicher datierbare klassische Werk, das sich ausschließlich mit Akupunktur und Moxibustion (Zhen Jiu) beschäftigt, der „Klassiker der Akupunktur und Moxibustion”, stammt ebenfalls aus dem 3. Jahrhundert nach Christi und fasst das damalige Wissen über Akupunktur und Moxibustion systematisch zusammen.

Sun Si Miao, ein berühmter Arzt der beginnenden Tang-Zeit (618 – 907), der in seinen Schriften Grundsatzfragen der damaligen Heilkunde behandelt, erwähnt erstmals die Ashi-Punkte, jene akut schmerzhaften Körperstellen, die in die Akupunkturbehandlung einbezogen werden können.

In der Zeit der Tang-Dynastie (618? – 682) wurden Akupunktur, Moxibustion und Pharmakologie erstmals zu eigenständigen Disziplinen, und die Medizin erhielt gewissermaßen offiziellen Wissenschaftsstatus. Zu Beginn des 7. Jahrhunderts wurde auf kaiserlichen Erlass die erste Schule für ärztliche Ausbildung eröffnet, deren Ausbildung allgemeine Heilkunde (hierunter wurde damals Chirurgie, Kinderheilkunde, Moxibustion, Augenheilkunde, Nasen- und Ohrenheilkunde und Zahnbehandlung verstanden), Akupunktur, Heilmassage und „Zaubersprüche” (die vor allem aus der buddhistischen Praxis stammten) umfasste. Mit der Einführung staatlicher Prüfungen im Jahre 1188 gab es dann „offiziell geprüfte Ärzte” (Ru Yi), „gewöhnliche medizinische Praktiker” (Yong Yi) und „Wanderärzte” (Chuan Yi), wobei die staatlich geprüften Ärzte in der sozialen Wertungsskala höher eingestuft waren. Diese soziale Ausdifferenzierung des Ärztestandes blieb bis zum Ende der letzten Kaiserdynastie im Jahre 1911 bestehen.

1027 ließ Wang Wei Yi zwei menschliche Figuren aus Bronze gießen, auf welchen die für die Akupunktur und Moxibustion bedeutsamen Punkte kenntlich gemacht waren. Die Schüler*innen konnten an diesen Bronzefiguren, die mit einer Wachsschicht versehen und mit Wasser gefüllt wurden, das Auffinden der Akupunkturpunkte üben. Wurde die Akupunkturstelle vorschriftsmäßig genadelt, trat an der betreffenden Stelle sofort Wasser aus. War dies nicht der Fall, konnte kein Wasser austreten.

1341 erschien die „Darstellung der 14 Hauptmeridiane” und etwa zweihundert Jahre später die „Untersuchungen über die acht Sondermeridiane, beides Lehrbücher, deren Aussagen bis heute Gültigkeit besitzen.

In der Zeit der Jin- (1115 – 1234) und Yuan-Dynastie (1274 – 1368) gab es vier berühmte Schulen, die einen jeweils etwas anderen Therapieschwerpunkt setzten und deren Traditionen ihren Niederschlag bis in die Neuzeit fanden, nämlich die Schulen von Li Dong Yuan („Schule der Mitte” oder „Erde-nährende Schule”), Zhu Dan Xi („Yin-nährende Schule”), Zhang Zi He („Entschlackungsschule”) und Liu Wan Su („Kälte- und Kühle-Schule”).

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