Überlegungen zu Transparenz und Information. Wie werden Entscheidungen getroffen?

Transparenz und Verschwiegenheit waren Thema im Juli 2019 in Newsletter und Blog (/index.php/aktuelle-themen/461-funktionaerstaetigkeit-zwischen-transparenz-und-verschwiegenheit) der Grünen Masseur*innen. Dieses Thema möchten wir aus Gründen der Aktualität, die nach wie vor gegeben ist, hier nochmals aufgreifen und ergänzen.

Definition und Einschränkungen

Transparenz, so haben wir damals rund um das Thema der möglicherweise gewünschten Eintragung von Heilmasseur*innen in das Gesundheitsberuferegister (GBR) geschrieben, ist ein wichtiges Element demokratischer Strukturen und ein Unterscheidungskriterium demokratischer von autokratischen1Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Autokratie Systemen. Wikipedia (zugegeben ohne wissenschaftlichen Anspruch) sagt dazu Folgendes2Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Transparenz_(Politik). Zugriff 10.6.2019.: „Transparenz ist in der Politik und im politischen Diskurs eine Forderung bzw. ein für erstrebenswert gehaltener Zustand frei zugänglicher Informationen und stetiger Rechenschaft über Abläufe, Sachverhalte, Vorhaben und Entscheidungsprozesse. Damit verbunden die Vorstellung einer offenen Kommunikation zwischen den Akteuren des politischen Systems (bzw. von Verwaltung) und den Bürgern und einer vermehrten Partizipation. In eine ähnliche Richtung zielen die Begriffe Verwaltungstransparenz und Öffentlichkeitsprinzip“. Ohne Transparenz haben Bürger*innen kaum Kontroll- und Einflussmöglichkeiten auf Entscheidungen, die sie betreffen.

Demgegenüber steht eine gleichwohl nötige Verschwiegenheit, um beispielsweise Entscheidungsprozesse nicht zu gefährden. So unterliegen auch Funktionär*innen der Wirtschaftskammer einer Verschwiegenheitspflicht (§ 69 WKG):

Alle Funktionäre und Mitarbeiter der nach diesem Gesetz gebildeten Organisationen sind, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, zur Verschwiegenheit über alle ihnen ausschließlich aus ihrer Tätigkeit bekanntgewordenen Tatsachen verpflichtet, deren Geheimhaltung im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung, der auswärtigen Beziehungen, im wirtschaftlichen Interesse der nach diesem Bundesgesetz gebildeten Organisationen der gewerblichen Wirtschaft, zur Vorbereitung einer Entscheidung oder im überwiegenden Interesse der Parteien geboten ist. Von dieser Verpflichtung hat auf Verlangen eines Gerichtes oder einer Verwaltungsbehörde bei Funktionären und Mitarbeitern der zuständige Präsident zu entbinden, wenn dies im Interesse der Rechtspflege oder im sonstigen überwiegenden öffentlichen Interesse gelegen ist.“

Das Spannungsfeld von Transparenz und Verschwiegenheitsverpflichtung

Funktionär*innen stehen damit im Spannungsfeld zwischen (demokratischer) Transparenz in Bezug zu den Innungs-Mitgliedern, die ihnen ihr Mandat gegeben haben, und zugleich Verschwiegenheit ihnen gegenüber aus oben angeführtem Wirtschaftskammergesetz, d.h. um Ruhe, Ordnung und Sicherheit, aber auch wirtschaftliche Interessen der WK oder Entscheidungsvorbereitungen nicht zu gefährden.

Transparenz und möglichst umfassende Information von Seiten der Innung und der von ihnen gewählten Mandatar*innen aber ist, so unser demokratisches Verständnis, grundlegend notwendig, um den Mitgliedern zu ermöglichen, verantwortungsvolle und nachhaltige Entscheidungen über ihren Beruf und das Gebahren ihrer Vertretung zu entscheiden, zumindest mitzuentscheiden.

Eine klare Grenze gibt es nicht, denn wo exakt beginnt die Überschreitung der notwendigen Verschwiegenheit, um sensible Prozesse nicht zu gefährden, und wo beginnt demokratiegefährdende „message control“ (mit der Gefahr eines „Meinungsmonopol“ und quasi „interner Zensur“) oder die Verschleierung von möglicherweise fragwürdigen Entscheidungen?

Das Spannungsfeld von politischen und Mitgliederinteressen

Zudem kommt an dieser Stelle auch noch Charakteristik der Kammerstruktur zu tragen, die ähnlich der eines Parlaments ist, mit dem Unterschied allerdings, dass die Wirtschaftskammer per se eine Interessensvertretung mit eigenen Interessen ist und die Ausschüsse vor allem mit Mandatar*innen von „Ablegern“ politischer Vereinigungen besetzt sind. In der Innung der Fußpfleger*innen, Kosmetiker*innen, Masseur*innen, Piercer*innen und Tätowierer*innen sind primär Mandatar*innen des Wirtschaftsbundes3„Der Österreichische Wirtschaftsbund ist eine der sechs Teilorganisationen der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und österreichweit die größte und schlagkräftigste politische Interessenvertretung für Unternehmerinnen, Unternehmer und selbstständig denkende Menschen“ (Quelle: https://www.wirtschaftsbund.at/genticscms/bundesleitung/ueber-uns/Was_wir_tun.html). Zugriff: 10.6.2019., des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes Österreichs4„Wir verstehen uns als die Stimme der Klein- und Mittelbetriebe (KMU) und der Ein-Personen-Unternehmen (EPU)“ (https://www.wirtschaftsverband.at/ueber-den-swv.html). Zugriff: 10.6.2019. und der Grünen Wirtschaft5„Wir sind deine starke Stimme in der Wirtschaftskammer: die Organisation der grünen Unternehmer*innen und Selbstständigen in Österreich. Willkommen in der wunderbaren Welt des ethischen und ökologischen Wirtschaftens“ (https://www.gruenewirtschaft.at). Zugriff: 10.6.2019. im Ausschuss vertreten.

Um im Vergleich des Parlaments zu bleiben: So wie auch bei Nationalratswahlen werben Kandidat*innen für ihren Einzug in den Ausschuss auf etablierten politischen Listen (Wirtschaftsbund, Sozialdemokratischer Wirtschaftsverband, Grüne Wirtschaft …) oder aber auf eigenständigen Listen (sogenannten „Wählergruppen“) mit einem Programm, das entweder (im Fall von etablierten Listen) „Teil eines größeren Gesamtbildes“6Z.B. ethisches und ökologisches Wirtschaften im Fall der Grünen Wirtschaft oder Vertretung der Klein- und Mittelbetriebe und EPUs im Falle des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes. ist und/oder aber ein spezifisches, eigenständiges Programm.

Sind sie dann gewählt und damit „Mandatar*innen“, eröffnen sich weitere Spannungsfelder:

  1. Sollen primär die eigenen, vielleicht übergeordneten Zielsetzungen verfolgt oder auch die Zielsetzungen anderer Gruppierungen miteinbezogen/berücksichtigt werden?

    Rechtlich/technisch gesehen muss eine Fraktion mit absoluter Mehrheit der Mandatar*innen – wie aktuell der Wirtschaftsbund in „unserer“ Innung – keinerlei Rücksicht auf Zielsetzungen der anderen Fraktionen und Ausschussmitglieder und die von ihnen repräsentierten Mitglieder nehmen, denn Fraktions-Interessen und -Ansichten lassen sich auf dem Hintergrund einer absoluten Mehrheit problemlos umsetzen.
     
    Der Preis dafür ist allerdings wohl die Unzufriedenheit der damit „vernachlässigten“ Mitglieder, die sich – und das wäre demokratiepolitisch wünschenswert – im Engagement für ihre Interessen und für eine Veränderung unliebsamer „Machtverhältnisse“ ausdrückt (zumindest z.B. im Abstimmungsverhalten in der nächsten Wahl).
     
  2. Wenn eine Thematik nicht explizites Thema des Wahlprogramms war: Sollen Mandatar*innen nach ihren (persönlichen oder einem kleinen Kreis entnommenen) Ansichten ihre Entscheidungen für eine gesamte Berufsgruppe treffen oder aber Betroffene in die Entscheidungsprozesse einbeziehen?
      

    Ein Beispiel dafür war, vor allem in den Jahren 2019 und 2020, die Diskussion über eine mögliche/gewünschte/unnötige Eintragung von Heilmasseur*innen in das Gesundheitsberuferegister GBR, in der einzig von den Grünen Masseur*innen großer Wert darauf gelegt wurde, Heilmasseur*innen – in Wien ganz konkret per Umfrage – in den Entscheidungsprozess einzubeziehen. Mit einem solchen Ansatz waren wir allerdings die Einzigen…
     
    Die Entscheidung für eine Innungsfahne (siehe Punkt 1 des Newsletters) ist aus unserer Sicht ähnlich gelagert, wenn man einen Kostenrahmen von 25.000 Euro und die symbolische Bedeutung eines solchen Schritts nicht als Bagatelle ansieht: Ist es wirklich der Wunsch (der Mehrheit) oder eines großen Teils der Mitglieder, dass eine Innungsfahne in Auftrag gegeben wird? Oder sehen viele Mitglieder (ein Großteil der Mitglieder oder doch nur eine Minderheit?) eine solche Anschaffung als unnötig, vielleicht sogar anachronistisch oder können dem Bild der einmarschierenden Innungs/Zunft-Fahnenträgern (gibt es da auch Frauen dabei?) beim vom Wirtschaftsbund organisierten Ball der Wiener Wirtschaft und der Weihe der Fahne im Stephansdom nichts abgewinnen? Sehen manche/viele vielleicht sogar im Gegenteil einen solchen Schritt unpassend für eine moderne Innung, in der – zumindest im Bereich der Masseur*innen – sehr viele Mitglieder EPUs sind? Vielleicht gibt es auch andere kritische Stimmen und Sichtweisen.
     
    Wie auch immer, die Realität war: Das Thema wurde nicht lange besprochen, kritische Meinungen im Ausschuss beiseite geschoben und mit Stimmenmehrheit (siehe politische Verteilung im Ausschuss, /index.php/fkm-wien) beschlossen.

Ergänzender Kommentar der Grünen Masseur*innen: Nach wie vor ist unsere Vision, wie wir sie für die Wahl 2020 (/index.php/home/motivation-und-ziele) formuliert haben:

… dass Entscheidungen (auch darüber, in welcher Weise vorhandene Mittel eingesetzt werden) nicht primär auf Basis politischer Zugehörigkeiten (und dahinterstehender Interessen) getroffen werden sollen, sondern so weit wie möglich von Angehörigen der jeweiligen Berufsgruppen. Die angestrebten Ziele waren dementsprechend Zusammenarbeit und Entscheidungen über alle Fraktionen hinweg für gemeinsame berufliche Zielsetzungen“ und unsere generellen Ziele:

  • Demokratische Entscheidungen
  • Information (Transparenz)
  • Kommunikation
  • Zusammenarbeit

Anmerkungen/Fußnoten