Wie sinnvoll ist eine Fahne für die Wiener Innung?

In der letzten Ausschuss-Sitzung wurde mit Stimmenmehrheit mit einem Kostenrahmen von 25.000 Euro die Anschaffung einer Fahne für die Wiener Innung beschlossen – die Grünen Masseur*innen haben sich kritisch dazu geäußert.

Dass es bislang keine Fahne für die Wiener Innung der Fußpfleger*innen, Kosmetiker*innen, Masseur*innen, Piercer*innen und Tätowierer*innen gibt, wurde von manchen Mandatar*innen schon vor einiger Zeit bemängelt, insbesondere mit dem Hinweis auf den feierlichen Einzug der Zunft/Gewerbe/Innungsfahnen bei der Eröffnung des Balls der Wiener Wirtschaft, der alljährlich vom Wirtschaftsbund Wien veranstaltet wird (https://www.stadt-wien.at/veranstaltungen/baelle/hofburg-ball-der-wiener-wirtschaft.html).

Dem von den Grünen Masseur*innen vorgebrachten Einwand, eine Gewerbe/Zunft/Innungs-Fahne sei heute für viele Mitglieder wohl nicht mehr zeitgemäß, zudem handle es sich bei den in der Innung FKM vertretenen Gewerbe um keine alten Zünfte, die eventuell aus Tradition an einer Fahne festhalten, wurde entgegengesetzt, dass eine Fahne identitätsstiftend und (auch) deshalb sinnvoll sei.

Geschichte und Hintergrund von Zunftzeichen

Dass Zünfte und damit auch Zunftfahnen (als eine Form der Zunftzeichen) eine lange Tradition haben, ist ohne Zweifel und wird in einem Fall selbst von der UNESCO als Immaterielles Kulturerbe in Österreich gewürdigt: Der Zunfttag der Fleischhauer*innen und Liebfrauenbruderschaft in Gars am Kamp.

In der Beschreibung dieses Kulturerbes wird angeführt (der vollständige Text ist unter https://www.unesco.at/kultur/immaterielles-kulturerbe/oesterreichisches-verzeichnis/detail/article/zunfttag-der-fleischhauerinnen-und-liebfrauenbruderschaft-in-gars-am-kamp nachzulesen): „Die Zunft der Fleischhauer in Gars am Kamp besteht seit 1535. Trotz formeller Aufhebung der Zünfte werden Praktiken wie Zunfttag, die Ehrenkranz- und Ehrensiegelverleihungen, die Verleihung des Goldenen Ehrenrings und die Fronleichnamsprozession mit dem Vorantragen der Zunftfahne nach wie vor ausgeübt. Diese Praktiken sowie das bis heute weitergetragene Wissen um das Handwerk haben für die Mitglieder und ihr Umfeld nach wie vor eine wichtige soziale, ökonomische und ökologische Bedeutung.
 
Seit über fünf Jahrhunderten besteht die Zunft der Fleischhauer*innen und Liebfrauenbruderschaft in Gars am Kamp. Wesentliche Aufgabe dieser war bis 1871, neben der Aufsicht über die Berufsanwärter*innen und die Erteilung der Meisterrechte, die Regulierung der beruflichen Ausübung, die für das Erwirtschaften des Einkommens der Fleischhauer*innen und die soziale Absicherung auch der zugehörigen Familien maßgeblich war. Nach Auflösung der Zünfte und Einreihung in Landesinnungen blieb die Fleischhauerzunft seit 1867 als Verein bestehen und hat ihre Vermögenswerte wie die Zunftäcker bis heute inne. Die gemeinschaftliche Bedeutung und die Bräuche blieben ebenso erhalten.
 
Zu diesen Bräuchen gehören der jährliche Zunfttag im Oktober. Nicht nur alle Zunftmitglieder, sondern auch Gäste aus anderen regionalen Lebensmittelhandwerken nehmen am Zunfttag teil, der einem strikten Ablauf folgt: nach dem gemeinsamen Essen selbst hergestellter Würste wird die Zunftfahne in die Kirche getragen und anschließend eine Messe für die verstorbenen Mitglieder gehalten. Zudem werden an diesem Tag neue Zunftmitglieder aufgenommen sowie nach den Feierlichkeiten reger Austausch zu den Fachfragen des Handwerks betrieben. Außerhalb des Zunfttages nehmen die Mitglieder der Zunft auch bei der Fronleichnamsprozession teil, bei der die Ehrenkränze gesegnet und der Zunft nahestehenden Persönlichkeiten geschenkt werden.

Eine ebenfalls St. Georgius-Gilde1Der Begriff der Gilde wurde im Mittelalter stärker der Kaufmannschaft zugeordnet, der Begriff der Zunft stärker dem Handwerk, wenn man von „kaufmännischen und gewerblichen Genossenschaften (Gilden und Zünften) sprach. Allerdings waren die Übergänge fließend und keiner der Begriffe, wie historische Belege zeigen, war konsequent auf eine der beiden Berufsgruppen festgelegt, wobei Zunft allerdings viel enger mit dem organisierten Handwerk verbunden war, während Gilde für Personenverbände verschiedenster Art und Zusammensetzung gebraucht wurde (Quelle: Ruth Schmidt-Wiegand: Die Bezeichnungen Zunft und Gilde in ihrem historischen und wortgeographischen Zusammenhang. https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/vuf/article/view/15771/9639)., gegründet 1592, klärt unter dem Titel „Fahne als Symbol der Ehre und Gemeinschaft“ den Unkundigen auf ihrer Website (https://www.gocher-gilde.de/Ueber-uns/Fahne-der-Gilde/) über die Bedeutung einer Gilden/Zunftfahne auf:

Fahnen, Feldzeichen und Standarten spiegeln die Geschichte eines Volkes wieder, denn die Fahnen sind ihre lebendigen und anschaulichen Symbole. Die Fahnen, seien es Nationalfahnen, Kirchenfahnen oder Vereinsfahnen sind Ausdruck innerer, staatlicher, religiöser, militärischer, parteipolitischer, sportlicher oder sonstiger Zusammengehörigkeit. Zu allen Zeiten brachte man der Fahne Ehrfurcht entgegen. Man weihte sie und ließ über sie den Segen sprechen. Man leistete den Fahneneid und bekräftigte den Schwur der Treue durch Berührung der Fahne. Die Fahne als Symbol verpflichtet unmittelbar, überliefert die Vergangenheit und weist in die Zukunft.“ 

Weihe der Fachgruppen-Fahne der Persönlichen Dienstleister im Jänner 2023

Die enge Verbindung mit kirchlicher Tradition scheint auch bei den neueren Gewerben von Bedeutung, wie sich nicht nur in der Absicht der Wiener Innung zeigt, denn die neu geschaffene Fachgruppen-Fahne der gewerblichen Dienstleister in Wien wurde am 17. Jänner von Dompfarrer Toni Faber im Stephansdom geweiht.

Im Begleittext des Videos auf YouTube (https://www.facebook.com/watch/?v=567327365293399), das von der Wirtschaftskammer Wien online gestellt wurde, verlautet dazu: „Herzlichen Dank an den Fahnenpaten Christoph Leitl und den Fahnenträger Martin Dirnbacher. Vizepräsidentin Margarete Kriz-Zwittkovits, Spartenobfrau Maria Smodics-Neumann und Fachgruppenobfrau Heidi Blaschek freuten sich über die Fortführung dieser jahrhundertealten Tradition.2Und vielleicht haben wir es hier mit einer Form von Nostalgie zu tun, einer Form von Sehnsucht nach einem goldenen Zeitalter, von Anachronismus oder auch Rückwärtsgewandtheit, je nach Standpunkt (vgl. Tobias Becker & Sabine Stach: Nostalgie. Historische Annäherungen an ein modernes Unbehagen. https://zeithistorische-forschungen.de/1-2021/5905).

Wir, die Grünen Masseur*innen, halten diese Tradition für nicht (mehr unbedingt) zeitgemäß und, darüber hinaus mit einem Budgetrahmen von 25.000 Euro gegenüber den Mitgliedern auch schwer vertretbar. Da fänden sich sicherlich bessere Maßnahmen, die den von den aktuellen Krisen betroffenen Mitgliedern nützlicher wären …

Verwiesen sei zudem auf einen ironisch-kritischen Beitrag der Tagespresse vom 16. Februar 2023 unter dem Titel: „Zahlt eh die Kammer“: WKO-Chef Mahrer bringt Rihanna zum Opernball (https://dietagespresse.com/zahlt-eh-die-kammer-wko-chef-mahrer-bringt-rihanna-zum-opernball/).

Anmerkungen/Fußnoten

  • 1
    Der Begriff der Gilde wurde im Mittelalter stärker der Kaufmannschaft zugeordnet, der Begriff der Zunft stärker dem Handwerk, wenn man von „kaufmännischen und gewerblichen Genossenschaften (Gilden und Zünften) sprach. Allerdings waren die Übergänge fließend und keiner der Begriffe, wie historische Belege zeigen, war konsequent auf eine der beiden Berufsgruppen festgelegt, wobei Zunft allerdings viel enger mit dem organisierten Handwerk verbunden war, während Gilde für Personenverbände verschiedenster Art und Zusammensetzung gebraucht wurde (Quelle: Ruth Schmidt-Wiegand: Die Bezeichnungen Zunft und Gilde in ihrem historischen und wortgeographischen Zusammenhang. https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/vuf/article/view/15771/9639).
  • 2
    Und vielleicht haben wir es hier mit einer Form von Nostalgie zu tun, einer Form von Sehnsucht nach einem goldenen Zeitalter, von Anachronismus oder auch Rückwärtsgewandtheit, je nach Standpunkt (vgl. Tobias Becker & Sabine Stach: Nostalgie. Historische Annäherungen an ein modernes Unbehagen. https://zeithistorische-forschungen.de/1-2021/5905).