Soll ein Patient über seine Therapie entscheiden können? – Diskussion in „Pro & Contra“

EKG

Ein Patient, so Dr. Doris Schöpf (Allgemeinmedizinerin, Ärztekammer Tirol und Referentin für Komplementärmedizin) in „Pro & Contra“ vor zwei Tagen, ist eingeschränkt und deshalb nicht mehr in der Lage, Entscheidungen zu tätigen, die seine Behandlung betreffen. Dazu bedarf es des Arztes, ausschließlich des Arztes.

In der Sendung „Pro & Contra“ am 21. November 2018 diskutierten Doris Schöpf (Ärztekammer), Florian Aigner (Physiker und Kritiker von Alternativmedizin), Silvia Martinek (Heilerin, Leiterin Heilerakademie Europa) und Reinhard Mitter (Kinderarzt; Ganzheitsmediziner und Homöopath) zur Frage: „Sollen nur Ärzte heilen dürfen?“. Besonders spannend wurde es im letzten Teil der Diskussionsrunde, nach ca. 45 Minuten, als der Moderator (Thomas Mohr) Doris Schöpf – quasi als Vertreterin der Ärztekammer – ansprach, ob denn Patient*innen aus ihrer Sicht entscheiden können, welche Behandlung sie in Anspruch nehmen (sollen).

Das Statement von Frau Schöpf: „Nein. Er ist als Patient nicht mehr in der Lage solche Entscheidungen zu treffen.“ Und weiter auf Nachfrage des Moderators, wer ihm die Entscheidung abnehmen sollte (und entgegen den entschiedenen Protest von Dr. Mitter, Kinderarzt und Ganzheitsmediziner: „Das ist falsch, Frau Kollegin„): „Also, der Patient ist eingeschränkt in seiner Erkrankung und deshalb braucht es auch den Arzt, der ihm hilft, eine entsprechende Diagnose zu bekommen und dann eine entsprechende Therapie.“ Und weiter: „Und was jetzt passiert im Energetikerbereich ganz offensichtlich, die sehen sich, (Bezug nehmend auf ihre Vorrednerin Silvia Martinek) was ich ihren Worten entnommen hab, als komplementäre Institutionen – als Behandler bezeichnen sie sich ja nicht – zur klassischen Medizin. Also es ist der Versuch dieses Andockens an die Patientenversorgung. Und das ist es aber nicht. Patienten gehören in ärztliche und Arzt-nahe Berufe, für die wir weisungsberechtigt sind. Und das ist es. Alles andere kann sich natürlich ein Patient aussuchen. Ich hab schon mal gesagt: Wenn er auf Wellness gehen möchte und er hat nicht gerade einen Herzinfarkt gehabt hat oder er möchte in ein Ayurveda-Ressort, weil er es sich leisten kann, für drei Wochen nach Sri Lanka fahren oder er möchte nach Lourdes pilgern, um seine spirituelle Heilung zu suchen, ja natürlich, das kann er alles machen. Aber es ist keine Berufsgruppe notwendig, die Patienten dann noch anders betreut. Das sagen auch die Energetiker: Wir diagnostizieren nicht, wir behandeln nicht. Das ist eine andere Ebene.

Der Meinung der Ärztekammer-Vertreterin zu Hilfe kam an dieser Stelle der intensiver gewordenen Diskussion Florian Aigner (Physiker und Kritiker von Alternativmedizin), der dieses Sichtweise mit folgendem Vergleich verstärkte: „Wenn ich in eine Flugzeug steige, dann möchte ich doch bitte, dass jemand, der sich auskennt mit Flugzeugen, entschieden hat, ob mit diesem Flugzeug alles in Ordnung ist. Dann möchte ich, dass ein Techniker, der viel mehr weiß über Flugzeuge als ich, sich das angeschaut hat. Jetzt könnte man natürlich sagen: Es könnte jeder selber entscheiden, in welches Flugzeug er steigt. Und eine Firma, die die Flugzeuge nicht wartet, die wird eh in Konkurs gehen. […] Sie können natürlich sagen, es gibt viele Theorien, wie man ein Flugzeug zum Fliegen bringen kann und suchen Sie sich aus. Das sind lauter Flugzeuge. Beim einen haben wir die Turbinen gecheckt, das andere steht schon seit dreißig Jahren. Suchen Sie sich aus, ganz frei. Sie können auspendeln, welches Flugzeug für Sie am besten ist. […] Das ist doch Blödsinn„. 

Was kann man daraus (ua.) ersehen:

  1. Das Verständnis der Vertreterin der Ärztekammer geht von einem unmündigen und unverständigen Patienten aus. In ihrer Stellungnahme hat Frau Dr. Schöpf nicht etwa unterschieden zwischen Notfallsituationen, in denen der*die Ärzt*in – vorbehaltlich einer Patient*innenverfügung – die Verantwortung und Entscheidung von unter Umständen lebensentscheidenden Maßnahmen trifft und wohl oft sinnvollerweise treffen muss, und Situationen, in denen der*die Patient*in nicht nur Objekt ist, sondern interagierender und auf gewisse Weise gleichwertige*r Partner*in in einem Behandlungsprozess. Sie betont vielmehr explizit, dass ihr diese Unterscheidung grundsätzlich wichtig ist: „ich meine das absolut ernst“ (auf Reinhard Mitters Frage: „Das meinen Sie jetzt nicht ernst?„).
    Der*die Ärzt*in ist in diesem Verständnis in einer unangefochtenen Position – ähnlich wie ein kirchlicher Vertreter im Mittelalter. Der*die Patient*in im Verständnis der Ärztekammer-Vertreterin wird hier als ebenso unmündig gesehen wie der*die unbedarfte Gläubige des Mittelalters, der*die auf die Auslegung des Priesters angewiesen ist. 
  2. Der*die Patient wird damit, alles andere als ein mündiger Mensch, mit einem Flugzeug verglichen, der*die auf seine*ihre „Flugtauglichkeit“ und sein*ihr „Service“ auf den*die Arzt angewiesen ist. Selbstverständlich kann ein Flugzeug nicht entscheiden, welche Therapie für es gut ist. Wie sollte es das auch. Aber: Ist das wirklich das Verständnis der modernen Medizin (bzw. ihrer, möglicherweise vor allem ihrer beruflichen Vertreter*innen) von den Menschen, die sie behandeln?