Hartvigsen, Jan et al.: What low back pain is and why we need to pay attention

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Psychologische Faktoren

Psychologische Faktoren werden oft getrennt untersucht, aber es gibt eine erhebliche Überschneidung von Konstrukten wie Depression, Angst, Katastrophenerwartung und Selbstwirksamkeit, d.h. dem Glauben an die Fähigkeit, Ereignisse zu manipulieren, die das eigene Leben beeinflussen. Das Vorhandensein dieser Faktoren bei Menschen mit Rückenschmerzen ist mit einem erhöhten Risiko der Entwicklung einer Behinderung verbunden. So wurden in einer britischen Studie 15% bzw. 28% von Schmerz und Behinderung durch schmerzbedingten Stress erklärt.1Campbell P, Bishop A, Dunn KM, Main CJ, Thomas E, Foster NE: Conceptual overlap of psychological constructs in low back pain. Pain 2013; 154: 1783-91.

Das Modell der Angstvermeidung bei chronischen Schmerzen beschreibt, wie Angst vor Schmerz zur Vermeidung von Aktivitäten und damit zur Behinderung führen, ist gut etabliert und wurde in jüngster Zeit erweitert, um den Einfluss fehlangepasster Lernprozesse und behindernder Überzeugungen auf die Schmerzwahrnehmung und das Verhalten zu erfassen. Den Hintergrund dieser Erweiterung bildet die Annahme, dass die Schmerzwahrnehmung eine größere Rolle bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Behinderungen spielt als der Schmerz selbst.2Crombez G, Eccleston C, Van Damme S, Vlaeyen JW, Karoly P: Fear-avoidance model of chronic pain: the next generation. Clin J Pain 2012; 28: 475-83.

Eine Überblicksarbeit, die auch 12 Meditationsstudien einschloss, identifizierte Selbstwirksamkeit, psychischen Stress und Angst als vermittelnde Faktoren von Nacken- oder Rückenschmerzen zur Entwicklung von Behinderungen.3Lee H, Hubscher M, Moseley GL, et al.: How does pain lead to disability? A systematic review and meta-analysis of mediation studies in people with back and neck pain. Pain 2015; 156: 988-97. Die potenzielle Bedeutung der Selbstwirksamkeit wird durch eine systematische Überprüfung (83 Studien; 15.616 Teilnehmer*innen) von chronischen Schmerzzuständen (23 Studien zu Rückenschmerzen) unterstützt, die die Selbstwirksamkeit konsequent mit Beeinträchtigung und Behinderung, affektiver Belastung und Schmerzintensität in Verbindung bringen.4Jackson T, Wang Y, Wang Y, Fan H: Self-efficacy and chronic pain outcomes: a meta-analytic review. J Pain 2014; 15: 800-14. Aus diesem Grund haben sich einige chronische Schmerzbehandlungen vom Ziel der direkten Schmerzlinderung zum Ziel der Änderung von Überzeugungen und Verhaltensweisen vrerändert.5Frost H, Klaber Moffett JA, Moser JS, Fairbank JC: Randomised controlled trial for evaluation of fitness programme for patients with chronic low back pain. BMJ 1995; 310: 151-54.

Soziale und gesellschaftliche Faktoren

Chronisch behindernde Rückenschmerzen betreffen überproportional Menschen mit niedrigem Einkommen und kurzer Ausbildung. Entsprechend wurde in einer britischen Studie basierend auf dem sozioökonomischen Status von 2.533 Personen mit Schmerzen eine Behinderung im Alter vorhergesagt (unabhängig von komorbiden Zuständen, psychologischen Indikatoren und Body-Mass-Index).6Lacey RJ, Belcher J, Croft PR: Does life course socio-economic position influence chronic disabling pain in older adults? A general population study. Eur J Public Health 2013; 23: 534-40. Querschnittdaten aus den USA (National Health Interview Survey 2009-10, 5.103 Personen7Shmagel A, Foley R, Ibrahim H: Epidemiology of chronic low back pain in US adults: National Health and Nutrition Examination Survey 2009–2010. Arthritis Care Res 2016; 68: 1688-94.) zeigen, dass Personen mit anhaltenden Rückenschmerzen seltener eine höhere Schulbildung haben und ein jährliches Haushaltseinkommen von weniger als 20.000 USD.

Vermutete Mechanismen für die Wirkung von geringer Bildung auf Rückenschmerzen sind unter anderen Umweltbelastungen und Belastungen durch die erschwerte Lebensführung in niedrigeren Einkommensgruppen, eine geringere Gesundheitskompetenz und eine schlechtere Gesundheitsversorgung.8Der Umstand der schlechten Gesundheitsversorgung in einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten kommt in den USA auf Grund der unterschiedlichen Sozialversicherungssysteme beispielsweise deutlich stärker zu tragen als in Europa; siehe Dionne CE, Von Korff M, Koepsell TD, Deyo RA, Barlow WE, Checkoway :. Formal education and back pain: a review. J Epidemiol Community Health 2001; 55: 455-68. Aber auch in Routine- oder körperlich anstrengenden Berufen tätig zu sein, ist mit einer erhöhten körperlichen Belastung und in der Folge mit einer größeren Wahrscheinlichkeit einer Behinderung durch Rückenschmerzen verbunden.

Zentrale Schmerzverarbeitung und -modulation

Der Reiz der Nozizeptoren9Die Nozizeption (Schmerzwahrnehmung) ist die Wahrnehmung von Reizen, die den Körper potenziell oder tatsächlich schädigen. Diese Reize werden von Nozizeptoren registriert und über afferente Schmerzfasern ins Gehirn geleitet. Die Sinnesempfindung „Schmerz“ entsteht erst durch die Verarbeitung im Kortex. wird im gesamten Nervensystem verarbeitet, einschließlich der Modulation im Rückenmark und in den supraspinalen Zentren. Bei chronischen Schmerzen können supraspinale Zentren unterschiedliche Aktivierungsniveaus aufweisen und für die Aktivierung dynamisch rekrutiert werden (oder auch nicht), abhängig vom nozizeptiven Impuls, dem Kontext, der Kognition und der Emotion. Wenn sich einer dieser Faktoren ändert, kann der gleiche nozizeptive Reiz ein anderes zerebrales Muster bei demselben*derselben Patient*in hervorrufen.10Roussel NA, Nijs J, Meeus M, Mylius V, Fayt C, Oostendorp R: Central sensitization and altered central pain processing in chronic low back pain: fact or myth? Clin J Pain 2013; 29: 625-38.

Eine Überblicksarbeit (27 Studien; 1.037 Teilnehmer*innen11Kregel J, Meeus M, Malfliet A, et al.: Structural and functional brain abnormalities in chronic low back pain: A systematic review. Semin Arthritis Rheum 2015; 45: 229-37.) identifizierte leichte Hinweise, dass Patient*innen mit chronischen Rückenschmerzen strukturelle Unterschiede im Gehirn in bestimmten kortikalen und subkortikalen Bereichen und eine veränderte funktionelle Konnektivität in schmerzbezogenen Bereichen nach schmerzhafter Stimulation aufweisen.12Die klinische Bedeutung dieser Ergebnisse ist allerdings noch nicht geklärt.

Anmerkungen/Fußnoten

  • 1
    Campbell P, Bishop A, Dunn KM, Main CJ, Thomas E, Foster NE: Conceptual overlap of psychological constructs in low back pain. Pain 2013; 154: 1783-91.
  • 2
    Crombez G, Eccleston C, Van Damme S, Vlaeyen JW, Karoly P: Fear-avoidance model of chronic pain: the next generation. Clin J Pain 2012; 28: 475-83.
  • 3
    Lee H, Hubscher M, Moseley GL, et al.: How does pain lead to disability? A systematic review and meta-analysis of mediation studies in people with back and neck pain. Pain 2015; 156: 988-97.
  • 4
    Jackson T, Wang Y, Wang Y, Fan H: Self-efficacy and chronic pain outcomes: a meta-analytic review. J Pain 2014; 15: 800-14.
  • 5
    Frost H, Klaber Moffett JA, Moser JS, Fairbank JC: Randomised controlled trial for evaluation of fitness programme for patients with chronic low back pain. BMJ 1995; 310: 151-54.
  • 6
    Lacey RJ, Belcher J, Croft PR: Does life course socio-economic position influence chronic disabling pain in older adults? A general population study. Eur J Public Health 2013; 23: 534-40.
  • 7
    Shmagel A, Foley R, Ibrahim H: Epidemiology of chronic low back pain in US adults: National Health and Nutrition Examination Survey 2009–2010. Arthritis Care Res 2016; 68: 1688-94.
  • 8
    Der Umstand der schlechten Gesundheitsversorgung in einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten kommt in den USA auf Grund der unterschiedlichen Sozialversicherungssysteme beispielsweise deutlich stärker zu tragen als in Europa; siehe Dionne CE, Von Korff M, Koepsell TD, Deyo RA, Barlow WE, Checkoway :. Formal education and back pain: a review. J Epidemiol Community Health 2001; 55: 455-68.
  • 9
    Die Nozizeption (Schmerzwahrnehmung) ist die Wahrnehmung von Reizen, die den Körper potenziell oder tatsächlich schädigen. Diese Reize werden von Nozizeptoren registriert und über afferente Schmerzfasern ins Gehirn geleitet. Die Sinnesempfindung „Schmerz“ entsteht erst durch die Verarbeitung im Kortex.
  • 10
    Roussel NA, Nijs J, Meeus M, Mylius V, Fayt C, Oostendorp R: Central sensitization and altered central pain processing in chronic low back pain: fact or myth? Clin J Pain 2013; 29: 625-38.
  • 11
    Kregel J, Meeus M, Malfliet A, et al.: Structural and functional brain abnormalities in chronic low back pain: A systematic review. Semin Arthritis Rheum 2015; 45: 229-37.
  • 12
    Die klinische Bedeutung dieser Ergebnisse ist allerdings noch nicht geklärt.

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