Ebenbichler, Gerold R. et al.: Twelve-year follow-up of a randomized controlled trial of comprehensive physiotherapy following disc herniation operation

Massage

Diskussion

Die Ergebnisse der ursprünglichen Studie zeigten, dass Patient*innen, die nach einer Bandscheibenoperation eine umfassende Physiotherapie erhielten, mit größerer Wahrscheinlichkeit zu einem guten funktionellen Gesundheitszustand zurückkehren (im Vergleich zu jenen, die keine gezielte weiteren Intervention erhielten). Dieser Nutzen wurde über über zumindest 15 Monate aufrechterhalten.

Die Autor*innen vermuteten, dass die „technisch korrekt angewandte Physiotherapie“ allein nicht notwendigerweise die ausschließliche Ursache für Langzeiteffekte sein müsse. Vielmehr waren sie der Meinung, dass auch andere, nicht ausschließlich interventionsspezifische Effekte, die beispielsweise von den behandelnden Therapeut*innen eingeführt werden (wie Problembewusstsein, Verständnis und Erlernen von Präventivmaßnahmen, ja sogar Empowerment und Selbstwirksamkeit), eine große Rolle spielen könnten.

Alle Patient*innen, die in die ursprüngliche Studie einbezogen waren, hatten eine Vorgeschichte von weniger als sechs Monaten, und so konnten Operation und nachfolgende Rehabilitation zu einer vollständigen Rekonvaleszenz führen. Damit würde ein langfristiges Follow-up eher über das Rückfallrisiko und/oder die Sekundärprävention einer gefährdeten Kohorte1Als Kohorte bezeichnet man in der Soziologie, Demographie und Statistik Gruppen von Personen, die gemeinsam ein bestimmtes längerfristig prägendes Ereignis erlebt haben.
Eine Kohortenstudie ist ein beobachtendes Studiendesign mit dem Ziel, einen Zusammenhang zwischen einer oder mehreren Expositionen (Umgebungseinflüsse) und dem Auftreten einer Krankheit aufzudecken. Dabei wird eine Gruppe exponierter und eine Gruppe nicht-exponierter Personen über einen bestimmten Zeitraum hinsichtlich des Auftretens oder der Sterblichkeit bestimmter Krankheiten beobachtet.
 als über die Nachhaltigkeit der Therapieergebnisse Aufschluss geben.

Insgesamt deuten die Ergebnisse Studie darauf hin, dass die positiven Ergebnisse2Im Vergleich zu keiner spezifischen Therapie in der Kontrollgruppe. der postoperativen Physiotherapie als auch der Scheinbehandlung (Nackenmassage), die mindestens 15 Monate bestehen, länger als ein Jahrzehnt „überleben“. Darüber hinaus sind Personen, die einmal unter dem Problem gelitten haben, nicht notwendigerweise einem sehr hohen Risiko eines größeren zweiten Ereignisses ausgesetzt, da die Re-Operationsrate relativ niedrig war (11%). Hier zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen.

In der ursprünglichen (prospektiven3Eine prospektive Studie bedeutet die Überprüfung der Hypothese der medizinischen oder psychologischen Wirksamkeit einer Behandlungsmethode unter vorheriger Festlegung, welche Hypothese geprüft werden soll. Dabei werden insbesondere die Daten gemäß der Hypothese erhoben, im Gegensatz zur retrospektiven Auswertung bereits vorhandenen Datenmaterials.) Studie erreichten Patient*innen, die im unmittelbaren postoperativen Verlauf eine Physiotherapie oder eine Scheintherapie (Nackenmassage) erhielten, drei Monate nach der Operation einen besseren funktionellen Gesundheitszustand.4In der Zwischenzeit wurden diese kurz- und mittelfristigen Ergebnisse durch eine systematische Überprüfung bestätigt: Oosterhuis, T, Costa, LO, Maher, CG, de Vet, HC, van Tulder, MW, Ostelo, RW. Rehabilitation after lumbar d Rehabilitation after lumbar disc surgery. Cochrane Database Syst Rev 2014; 3: CD003007.  Die vorliegende Studie deutet nun darauf hin, dass diese Verbesserungen im weiteren Verlauf beibehalten werden konnten, was die langfristig positiven Effekte ermöglichte.

Studien, die einen direkten Vergleich mit den vorliegenden Langzeitbeobachtungen zulassen, sind den Autor*innen nicht bekannt, und Studien, die die Langzeitauswirkungen von chirurgischen im Vergleich zu nichtchirurgischen Behandlungen bei symtomatischen Bandscheibenvorfällen untersuchen, legen nahe, dass das funktionelle Ergebnis ein Jahr nach der Intervention gleichsam „zementiert“ wird und dann während weiterer Jahre nahezu unverändert bleibt.5Atlas, SJ, Keller, RB, Wu, YA, Deyo, RA, Singer, DE. Long-term outcomes of surgical and nonsurgical management of sciatica secondary to a lumbar disc herniation: 10 year results from the maine lumbar spine study. Spine 2005; 30: 927–935.

Weitere Studien legen nahe, dass die meisten Patient*innen langfristig weiterhin unter deutlichen Funktionsbeeinträchtigungen leiden können. Auch die Ergebnisse der vorliegenden Studie zur Invalidität dieser PatientInnen zeigen langfristig ein ähnliches Ergebnis – mit dem Unterschied, dass physiotherapeutisch behandelte Patient*innen signifikant besser abschnitten als unbehandelte.

Der Schmerz nimmt generell nach einer Bandscheibenoperation ungeachtet der jeweiligen postoperativen Intervention in der Regel ab. In der physiotherapeutischen Gruppe aber wurden nicht nur die Schmerzen im Vergleich zur Gruppe ohne Behandlung signifikant geringer, sondern auch die Behinderung nahm ab und die körperlichen Funktionen nahmen signifikant zu. Es gibt Hinweise darauf, dass der Mechanismus zur Verringerung der Behinderung und Verbesserung der körperlichen Funktion mit einer verbesserten Rumpf-, Hüft- und Beckenmuskelfunktion in Verbindung steht.6Popovich, JM, Popovich, JM, Welcher, JB. Lumbar facet joint and intervertebral disc loading during simulated pelvic obliquity. Spine J 2013; 13: 1581–1589.

Eine Atrophie7Muskelschwund und damit eine Schwächung der entsprechenden Muskulatur. der Rumpfmuskulatur, Muskelschwäche, unzureichende neuromuskuläre Aktivierung und Koordination sowie eine größere Müdigkeit können zu einer erhöhten Belastung der Bandscheiben, Facettengelenke und Bänder beitragen und damit das Risiko einer erneuten Verletzung oder eines erneuten Auftretens von Schmerzen nach einer Bandscheibenoperation auf lange Sicht erhöhen.

Die Werte für Körperfunktionen und Schmerzen in der physiotherapeutisch behandelten Gruppe waren deutlich besser als in der unbehandelten Gruppe. Da diese beiden Subscores bei den meisten Patient*innen keine klinisch relevanten Probleme aufwiesen, spekulieren die Autor*innen, dass die postoperative Wiederherstellung der Rumpfmuskulatur langfristig von Vorteil sein könnte. Dies scheint das von Physiotherapeut*innen empirisch vorgeschlagene Konzept zu unterstützen, dass eine bessere Rumpf-Muskelfunktion die Bandscheiben, Bänder und Gelenke langfristig weniger belasten könnte, was zu einem verringerten Risiko von Rücken- und Beinschmerzen führt.

Anmerkungen/Fußnoten

  • 1
    Als Kohorte bezeichnet man in der Soziologie, Demographie und Statistik Gruppen von Personen, die gemeinsam ein bestimmtes längerfristig prägendes Ereignis erlebt haben.
    Eine Kohortenstudie ist ein beobachtendes Studiendesign mit dem Ziel, einen Zusammenhang zwischen einer oder mehreren Expositionen (Umgebungseinflüsse) und dem Auftreten einer Krankheit aufzudecken. Dabei wird eine Gruppe exponierter und eine Gruppe nicht-exponierter Personen über einen bestimmten Zeitraum hinsichtlich des Auftretens oder der Sterblichkeit bestimmter Krankheiten beobachtet.
  • 2
    Im Vergleich zu keiner spezifischen Therapie in der Kontrollgruppe.
  • 3
    Eine prospektive Studie bedeutet die Überprüfung der Hypothese der medizinischen oder psychologischen Wirksamkeit einer Behandlungsmethode unter vorheriger Festlegung, welche Hypothese geprüft werden soll. Dabei werden insbesondere die Daten gemäß der Hypothese erhoben, im Gegensatz zur retrospektiven Auswertung bereits vorhandenen Datenmaterials.
  • 4
    In der Zwischenzeit wurden diese kurz- und mittelfristigen Ergebnisse durch eine systematische Überprüfung bestätigt: Oosterhuis, T, Costa, LO, Maher, CG, de Vet, HC, van Tulder, MW, Ostelo, RW. Rehabilitation after lumbar d Rehabilitation after lumbar disc surgery. Cochrane Database Syst Rev 2014; 3: CD003007. 
  • 5
    Atlas, SJ, Keller, RB, Wu, YA, Deyo, RA, Singer, DE. Long-term outcomes of surgical and nonsurgical management of sciatica secondary to a lumbar disc herniation: 10 year results from the maine lumbar spine study. Spine 2005; 30: 927–935.
  • 6
    Popovich, JM, Popovich, JM, Welcher, JB. Lumbar facet joint and intervertebral disc loading during simulated pelvic obliquity. Spine J 2013; 13: 1581–1589.
  • 7
    Muskelschwund und damit eine Schwächung der entsprechenden Muskulatur.

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